: „Der Westen ist der neue Osten“
NACHOSTIDENTITÄT Herkunft ist wichtig: Die Musikerin Rike Schuberty erzählt
■ bürgerlich Rike Schubert, ohne y. So auch auf ihrer Homepage www.rike-schubert.de
■ 1996 stieg sie als Bassistin und Gitarristin bei der Band Contriva ein, mit der sie bisher acht Platten veröffentlicht hat. Sie spielte auch bei Britta und Masha Qrella, Noel
■ In Theaterrollen war sie u. a. in Basel, Frankfurt, Halle zu sehen.
■ Soloauftritt mit einer Adaption der „Legende von Paul und Paula“.
PROTOKOLL BARBARA MÜRDTER
Als die Mauer gefallen ist, war ich gerade an der Schwelle vom Kind zum Teenager. Ich hatte aber schon vorher immer ein bisschen Kontakt in den Westen, weil meine Großeltern in Westberlin gewohnt haben. Aufgewachsen bin ich in Berlin-Treptow, mit einer alleinerziehenden Mutter und einer 14 Jahre älteren Schwester. Meine ältere Schwester hat kein Abitur machen dürfen, weil sie nicht in der FDJ war. Sie hat die DDR sehr negativ erlebt. Da hatte ich das Glück, ein bisschen zu spät zu kommen. Mir stand im Teenageralter alles offen. Was nicht heißt, dass das Leben deswegen leichter war. Wir Wendekinder waren doppelt orientierungslos. Alles war plötzlich anders und wir waren jung.
Die Wende war für mich kein Bruch. Trotzdem ist meine Identität eindeutig ostdeutsch geprägt. Merke ich auch bei anderen Leuten, dass das noch eine Rolle spielt. Das ist vor allem damit verbunden, dass man Eltern hat, für die die DDR-Herkunft ein Wendepunkt im Leben war.
Die Umbruchphase bis Mitte der Neunziger war für mich sehr chaotisch. Ich kann mich erinnern, dass in unserer Schule zwei Jahre kein geregelter Unterricht stattfand. Nach der Wende wechselte ich erst zur Oberschule Georg Friedrich Händel. Als Kind habe ich zwei Jahre Blockflöte gespielt. Im Teenageralter habe ich angefangen, Saxofon zu spielen. Da war ich voll auf Jazz. Das ging dann überhaupt nicht übereinander mit der klassischen Musikausbildung. Also habe ich beschlossen, aufs John-Lennon-Gymnasium zu gehen. Da habe ich mich einfach reingesetzt. Der Schulwechsel lief ohne große Formalitäten. Das Lennon hatte den Ruf, ein Punker- und Kiffer-Gymnasium zu sein. Das fand ich halt spannend.
Wir hatten eine schrille Musiklehrerin, zu DDR-Zeiten eine echte Rockröhre. Ihre Band hieß Mona Lise. Sie trug pinke Dreadlocks und einen ganz kurzen Minirock. Die wollte uns immer dieses Rockfieber rüberbringen, ich fand es voll peinlich und doof.
Mitte der 90er habe ich die Musiker und Freunde getroffen, mit denen ich bis heute Musik mache. Sie hatten eine besetzte Wohnung in der Berliner Tucholskystraße. Der Proberaum im Hinterhof lief mit Kohleheizung. Bald sind daraus feste Bandstrukturen entstanden. Das erste Konzert fand 1996 statt, kurz vor meinem Abitur. Zunächst waren die Bandmitglieder alle aus dem Osten. Dann kamen aber immer mehr Leute hinzu. Schon vorher waren Leute aus Westdeutschland nach Ostberlin gezogen, weil es billig und cool war. Norman, der bis heute unsere Platten mischt, kam etwa aus Essen nach Berlin.
Ich denke, die Wessis, die hierher kamen, fanden es wahnsinnig exotisch, Leute wie uns kennen zu lernen. Es war aber bei uns nie ein großes Thema. Über die Musik konnten wir uns gemeinsam definieren, als so eine Art stille Übereinkunft. In letzter Zeit konzentriert sich aber jeder auf die eigenen Projekte, und wir treffen uns nicht mehr so oft in den alten Konstellationen. Wenn man älter wird, fängt man an, perspektivischer zu denken. Mit der Band Contriva habe ich jetzt Musik zu einem Film beigesteuert. Ich mache auch etwas für ein Projekt zum Mauerfall, eine Art Soundinstallation – solche Projekte machen mir Spaß.
All diese Jubiläen: 20 Jahre Mauerfall, 60 Jahre Bundesrepublik, und ja, 60 Jahre wäre auch die DDR geworden – ich habe das Gefühl, das ist interessant. Ich lebe längst schon länger im – na ja, Westen kann man auch nicht sagen, im Nachosten vielleicht. Im richtigen Westen war ich jetzt aber auch, auf zwei Festivals mit meinem Paul-und-Paula-Abend. Da spiele ich auch Puhdys-Songs auf der Gitarre. Du kommst nach Düsseldorf und denkst, das ist so trist da. Der Westen ist der neue Osten. Und du kommst da so hin mit deiner Ostgeschichte und denkst, schön, dass die sich mal dafür interessieren. An denen ist das ja so vorbeigerauscht.
Das hat dann so einen therapeutischen Aspekt – das wird dann mal wieder so aufgekocht und dann ist auch wieder gut. „Paul und Paula“ habe ich mir mit einer Kollegin bei einem Glas Rotwein ausgedacht. Oft ist bei DDR-Geschichten ja so das Thema Stasi, die Überwachung, die Opfer. Da hatten wir nicht so einen Bock drauf. Nicht um den Osten zu verklären. Wir wollten nicht auf diesen Zug aufspringen. Wir haben überlegt, was ist denn eine schöne Geschichte aus dem Osten, die so und überall ja auch noch stattfinden kann, und was kann man darunter auf zweiter Ebene noch über den Osten erzählen.
Wir sind beide Töchter alleinstehender Mütter. Das ist die Geschichte von Paula, die sich als alleinstehende Frau auch in einen Mann verliebt, den sie nicht kriegen kann. Man kann also selbst sagen: Ich bin ein Kind dieser Generation, eins dieser Kinder von Paula. Ich bin selbst gerade in dem Alter, wie die damals so waren, 30. Und man kann etwas über den Film erzählen, denn der Film war ja eigentlich systemkritisch.
Insofern fühle ich mich mit dem Stück immer wie auf einer Mission, ohne plakativ zu sagen: der böse Osten, ich armer Ossi. Ich könnte ja auch aus dem Westen sein und die Geschichte spielen. Aber weil ich das Ganze erlebt habe, bekomme ich vom Publikum immer wieder das Feedback, dass ich bei ihnen mit kleinen Gesten Bilder wieder hochbringen kann: Staropramen trinken oder Bockwurst essen oder so etwas – ohne plakativ sein zu müssen oder jemanden an den Pranger zu stellen.
Es ist immer einfacher, etwas zu machen, wenn man selber einen Bezug dazu hat. Ich hätte mir zum Beispiel keine RAF-Geschichte ausgedacht, weil ich als Ossi dazu keine Verbindung habe.
■ Barbara Mürdter ist freie Journalistin. Geboren in Magdeburg, lebt sie heute in Berlin