Unterm Strich:
In Berlin halten Aktivisten weiter die Berliner Volksbühne besetzt. Seit Freitagnachmittag sind Vertreter eines Kunstkollektivs namens „Staub zu Glitzer“ als illegale Besetzer in dem Theater am Rosa-Luxemburg-Platz. Am Montagmorgen hatte es bereits eine Versammlung der Volksbühnenmitarbeiter, von denen viele schon im letzten Jahr gegen ihren neuen Chef Chris Dercon protestiert hatten, gegeben. Dass es dort eine große Solidarität für die ungebetenen Gäste gab, wie zu hören war, ist nicht so erstaunlich. Und erhöht das Unangenehme an der Situation für die Künstler, mit denen Dercon Verträge hat und die nun an dem Haus arbeiten wollen.
Zu ihnen gehört die Regisseurin Susanne Kennedy.Die Probe für ihr neues Stück „Woman in Trouble“, das am 30. November herauskommen sollte, habe wegen der Besetzung abgesagt werden müssen, so der Theatersprecher der Volksbühne. Auch mehrere andere Abteilungen des Hauses könnten nicht arbeiten. Die Volksbühnen-Tageskasse bleibt ebenfalls geschlossen.
Die Besetzer bezeichnen ihre Aktion als „darstellende Theaterperformance“, wie sie mitteilten. „Wir wollen mit unserer transmedialen Theaterinszenierung ein Zeichen setzen gegen die aktuelle Kultur- und Stadtentwicklungspolitik.“ Das Interesse an ihnen ist groß, einzuschätzen sind sie bisher nicht. Und was sagt eigentlich Frank Castorf zu dieser Schlacht um sein Haus? Das weiß man bisher nicht. Dercon und Programmdirektorin Marietta Piekenbrock hatten zuletzt gefordert, dass die Politik „jetzt dringend ihrer Verantwortung nachkommt und handelt“.
Für den Montagmittag war ein weiteres Gespräch zwischen der Kulturverwaltung und dem Volksbühnenteam um Intendant Chris Dercon über das weitere Vorgehen angekündigt.
Am Montag meldeten sich Schriftsteller, Philosophen und Theaterleute zur Wahl und sie teilen den Schock über das Abschneiden der AfD. Zu ihnen gehört Günter Wallraff. Er würde Grünen-Chef Cem Özdemir gerne als künftigen Außenminister sehen. „Ich befürchte, dass die Grünen in einer Jamaika-Koalition zerrieben werden könnten“, sagte der Kölner Autor dpa am Montag. „Aber Jamaika würde Sinn machen mit einem Außenminister Özdemir“, meinte der Undercover-Journalist. So habe Özdemir im aktuellen Konflikt mit der Türkei die höchsten Kompetenzen. Drastisch sei das Abschneiden der AfD, die zur drittstärksten Kraft wurde: „Es ist eine Katastrophe, dass Rechtspopulisten und rassistische Führungskräfte wieder das große Wort führen können – und das mit einer Sprache, die bewusst Spielregeln verletzt, um Hass und Feindbilder zu schaffen.“ Wallraff betonte zugleich, man solle den AfD-Wählern keine Nazi-Nähe unterstellen. „Die meisten sind verwirrt oder enttäuscht und fühlten sich mit ihren Sorgen nicht ernst genommen.“
Der Schriftsteller Moritz Rinke hat das Ergebnis der Bundestagswahl als „hässlichen Tag für die parlamentarische Demokratie“ gewertet. Nun könnten Rassisten und Rechtsextreme Mitarbeiter einstellen und mit Geld Themen besetzen, erklärte Rinke am Montag mit Blick auf das Abschneiden der AfD. Den etablierten Parteien sei es nicht gelungen, ein neues gesellschaftliches Leitbild zu formulieren, das nicht Angst vor der Flüchtlingspolitik erzeuge, sondern Verständnis und Empathie. Rinke, zu dessen bekanntesten Werken der Roman „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“ gehört, erwartet viel Arbeit für den Bundestagspräsidenten. Und: „Vielleicht erleben wir eine Repolitisierung nach Jahren der Großen Koalition.“
Der Fotograf Wolfgang Tillmans rief dazu auf, die AfD durch die politische Debatte nicht aufzuwerten. „Ich hoffe, die Medien werden der AfD in Zukunft dreizehn Prozent der Aufmerksamkeit geben und keine Minute und Zeile mehr“, sagte der 49-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.
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