Berliner Szenen: Spielplatz-Wahlkampf
Der Protestwähler
Auf dem Weg zum Spielplatz sitzt neben meiner Tochter und mir im Bus eine Gruppe 18-jähriger Jungs. Einer sagt: ,,Lass ma wählen gehn. Ich nehme die geile Brünette.‘‘ Alle sehen ihn interessiert an. ,,Welche geile Brünette?‘‘ Er guckt aus dem Fenster. ,,Hängt da grade nich. Aber es gibt doch nur eine Geile. Die mit dem roten Logo.‘‘ Die anderen lachen. ,,Alter, meinst du die Wagenknecht von links oder was? Die ist doch uralt.‘‘ Er nickt. ,,Aber geiler als Merkel.‘‘
Ich betrachte aus dem Busfenster die Wahlplakate am Straßenrand: Der Spandauer SPD-Kandidat ist unter dem Slogan „Zuerst Mensch“ im Spiel mit einem kleinen Mädchen abgebildet, der CDU-Mann hat sich mit einem Hund ablichten lassen, für die FDP grinst Christian Lindner in die Kamera, als wolle er für maßgeschneiderte Anzüge werben. Auf dem Spielplatz treffe ich eine Freundin. Ihr Begleiter meint: „Die etablierten Parteien setzen doch schon lange auf Personen statt Inhalte. Ratet mal, was ich wähle?“ Ich zögere. „Die Partei?“ Er lacht. „Nein, die Alternative für Deutschland.“ Ich hole tief Luft. „Die AfD? Wir kennen uns ja kaum, aber du hast doch sonst eher soziale Ansichten. Wie kommst du dazu, so eine menschenverachtende Truppe unterstützen zu wollen?“ Er zieht eine Augenbraue hoch. „Was, bitte, ist an der AfD menschenverachtend?“ Ich hole aus: „Ein Wahlkampf, der auf die Angst vor Überfremdung setzt, ein Vorsitzender, der eine SPD-Politikerin in Anatolien entsorgen möchte …“ Er schneidet mir das Wort ab: „Das ist Polemik, das ist Wahlkampf, aber beruhige dich: Ich wähle die doch nicht aus Überzeugung, sondern aus Protest. Die haben doch eh keine Chance, die Wahl zu gewinnen. Aber ich möchte, dass sie auf 12, 14 Prozent kommen und die großen Parteien als ernst zu nehmende Opposition zwingen, die Dinge anzugehen.“ Eva-Lena Lörzer
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