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Schön obszön

AUGSBURG Als Absteiger gehandelt, entpuppt sich der Klub als das Überraschungsteam der Stunde und besiegt sogar Champions-League-Teilnehmer RB Leipzig völlig verdient

„Wir sind eine super Einheit“: Torschütze Michael Gregoritsch darf sich freuen Foto: abc

aus Augsburg Maik Rosner

Hinterher ging es sehr viel um eine Szene, die mit dem Spiel nur insofern zu tun hatte, weil sie kurz vorm Abpfiff zu beobachten war. Genau genommen rückte eine Handbewegung in den Mittelpunkt, von der Männer eigentlich gerade dann absehen, wenn sie nicht allein sind. Nun aber waren 26.113 Zuschauer und viele Kameras zugegen, als Augsburgs Kapitän Daniel Baier seine rechte Hand vor seiner Fußballerhose hin und her bewegte. Und weil er diese Geste an RB Leipzigs Trainer Ralph Hasenhüttl adressierte, hatte der 1:0-Sieg des FC Augsburg durch das Tor von Michael Gregoritsch aus der vierten Minute ein Thema gefunden, das den sportlichen Teil des Dienstagabends überlagerte und für Baier noch eine Sperre nach sich ziehen könnte.

Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes leitete am Mittwoch ein Ermittlungsverfahren ein. Gefolgt war der Geste nach dem Schlusspfiff ein Wortgefecht zwischen Hasenhüttl und Baier, bei dem der Leipziger Trainer davon absah, ebenjene rechte Hand des Augsburger Mittelfeldspielers zu schütteln. Auch einen späteren Entschuldigungsversuch von Baier sollen die Leipziger abgewiesen haben. Er habe sich „hinreißen lassen“, räumte der 33-Jährige ein. Hasenhüttls Wortmeldungen aus der Coachingzone sollen dazu beigetragen haben.

Abgelenkt wurde durch die Debatte von den übergeordneten Eindrücken, die zwei Trends manifestiert hatten. „Es ist uns nicht gelungen, den Riegel zu knacken“, sagte Hasenhüttl. Er trug das auch deshalb zerknirscht vor, weil er es nach bisher sieben Punkten nicht zum ersten Mal bilanzieren musste. „Wir müssen mal wieder zu null spielen und vorne zwingender“, ergänzte Kapitän Willy Orban. Die Leipziger scheinen nach der zweiten Niederlage sowie nach den vorherigen Unentschieden in der Champions League gegen Monaco (1:1) und in der Liga gegen Mönchengladbach (2:2) zu ahnen, vor welchen Herausforderungen sie in ihrer zweiten Saison nach dem Aufstieg stehen, zumal sie sich nun durch englische Wochen hangeln müssen, was Hasenhüttl in Augsburg mit gleich neun neuen Spielern in der Startelf versuchte. Herausgekommen war ein stockender Kombinationsfluss.

Die Augsburger bestätigten ebenfalls ihren Trend, und dieser hat sie nach drei Siegen in Serie gerade ungefähr in jene Rolle gebracht, die in der Vorsaison die Leipziger eingenommen haben. Mit zehn Punkten aus fünf Spielen hat sich der FCA am Dienstagabend in der Tabelle hinterm FC Bayern und Borussia Dortmund auf dem dritten Platz einsortiert. „Schon eine Sensation“ sei das, sagte Trainer Manuel Baum stolz, „wir werden einen Screenshot machen, aber das war’s dann auch.“

„Meistens schießt Geld zwar Tore, aber es gehört mehr dazu“

Augsburgs Trainer Baum

Der erstaunliche Höhenflug freut die Augsburger auch deshalb diebisch, weil sie vor der Saison als Absteiger Nummer eins gesetzt waren. Nun haben sie sich zumindest vorerst als Überraschungskandidat Nummer eins etabliert, obwohl sie in der Etattabelle unten stehen. „Meistens schießt Geld zwar Tore, aber es gehört mehr dazu“, sagte Baum und verwies auf den Teamgeist, was beinahe als Spitze gegen Leipzig durchging. Erstaunlich ist der Augsburger Zusammenhalt auch deshalb, weil die Kaderarchitektur von Manager Stefan Reuter kritisch beäugt worden war. 33 Profis stehen beim FCA unter Vertrag, die mit Abstand meisten in der Liga. Doch der vermeintliche Nachteil der drohenden Unruhe entpuppt sich bisher als Vorzug. Baum kann seine Mannschaft immer wieder behutsam durchmischen, und offenbar versteht er es geschickt, die große Belegschaft bei Laune zu halten. „Wir sind eine super Einheit“, sagte Zugang Gregoritsch nach seinem ersten Tor. In der Tat wirkten die kompakten Augsburger mit ihrem schnellen Umschaltspiel homogener als die Leipziger, die mit einem ähnlichen Stil in der Vorsaison den zweiten Platz erobert haben.

Die Augsburger Spieler hatten vor dieser Saison ihre Ziele schriftlich festgehalten, und schon damals hatten sie sich mehr vorgenommen als die Versetzung. Nun fühlen sie sich in ihrer selbstbewussten Einschätzung bestärkt. „Die zehn Punkte entsprechen auch den Leistungen“, befand Baum. Offizielle Zielkorrekturen sind aus Augsburg vorerst aber nicht zu erwarten.

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