Der Ehemann hat Halsschmerzen, das kleine Theater verkackt die Premiere, miese Musik beim Sport: Alles war fürchterlich, schrecklich und grauenvoll
Ausgehen und Rumstehen
von Lea Streisand
Es sollte so ein schönes Wochenende werden. Zwei Premieren, Freitag und Samstag, die ich besuchen durfte, dazu Sonnenschein und laue Temperaturen draußen, ein voller Kühlschrank und ein attraktiver Ehemann drinnen. Ein Wochenende wie ein Jahresurlaub.
Und dann hatte der Ehemann Halsschmerzen. Schon Donnerstagabend wurde er plötzlich unleidlich und wollte allein schlafen. Der Freitag war schon voll des Jammers. Und Samstag, na ja, am Samstag war der Mann dann nur noch millimeterweit vom Tode entfernt. Es war schrecklich.
Ich war Freitagabend im Felleshus der Nordischen Botschaften. Es hilft ja nichts, sich das Elend auch noch anzugucken. Und angebotene Hilfe wird eh immer abgelehnt. „Soll ich dir einen Tee kochen?“ – „Nein. Lass mal! Das wäre ja doch nur Wasserverschwendung, wenn ich morgen sterbe.“
Im Felleshus feierte die norwegisch-deutsche Erzählerin Ragnhild A. Mørch die Premiere ihres autobiografischen Erzählabends über die Sommer ihrer Kindheit auf einer winzig kleinen Insel in den Schären. Ohne Strom und fließend Wasser. Und es ist fast, als wäre man dabei, wenn sie an einem Regentag mit ihren Eltern und den drei Geschwistern in der Hütte hockt, Saft trinkt, Kekse isst und Karten spielt. Die Lebensgeschichte des Kindes verknüpft sich mit der der Großtante, die auch Ragnhild heißt und der auch die Insel gehört. Sie verlor ihren Mann im Widerstand gegen die Nazis und schwor, nie wieder ein Wort Deutsch zu sprechen, obwohl sie immer ein Fan von Goethe und Heine gewesen war. Und dann fand sie sich auf der Hochzeit der Nichte wieder, die einen Deutschen heiratet.
Der Rückweg führt durch die leuchtende Mitte Berlins. Ich komme mir fast vor, als wäre ich Teil einer richtigen Großstadt. Ich nehme noch einen Absacker beim Periplaneta Verlag, der seinen zehnten Geburtstag feiert. Es ist noch Sekt da, der muss weg. Ich tue mein Bestes und wanke gegen halb drei nach Hause. Der Mann ist nicht gestorben, stelle ich fest, als ich die Urzeitgeräusche aus seinem Zimmer höre.
Am Samstag muss ich einkaufen gehen. Normalerweise macht das Paul. Es ist sein Kraftsport, kiloweise Getränke durch die Gegend zu schleppen. Ich kugele mir fast die Schulter aus beim Schleppen der Tasche.
Uninspirierte Kolportagekacke
Abends gehe ich auf die zweite Premiere. Zusammen mit zwei Freundinnen. Ich habe die beiden überredet mitzukommen. Es ist die Spielzeiteröffnung des kleinen Theaters, das wir hier mal pietätvoll nicht nennen wollen – denn das Stück ist eine Katastrophe.
Diese Inszenierung war das Schlechteste, was ich seit Langem auf einer Bühne gesehen habe. Eine aus Wikipedia-Artikeln, Hollywood-Filmen und ein paar Gestaltungsideen, selbstherrliche, irrelevante, ungenaue und uninspirierte Kolportagekacke. Mit Gestaltungsideen, die vielleicht in den Neunzigern noch jemanden vom Hocker gerissen haben. Ich weiß gar nicht, wohin mit meiner Wut.
„Alle meine Lieblingstheater gehen den Bach runter!“, heule ich dem schlafenden Paul ins Ohr, als ich nach Hause komme.„Nur noch einen Tag“, denke ich beim Aufwachen am Sonntagmorgen, „dann habe ich dieses Wochenende überstanden.“
Paul ist wieder auf den Beinen. Er hat sogar Frühstück gemacht. Nachher gehe ich zum Sport. Wie jeden Sonntag. Normalerweise versöhnt mich das Gestrampel mit allen Widernissen der Welt. Aber leider ist heute die Kursleiterin mit dem miesesten Musikgeschmack der Welt im Dienst. Ich werde von Minute zu Minute aggressiver.
Nun sitze ich hier. Auf meinem Sofa. Im Fernsehen läuft Bridget Jones, der „Tatort“ war einfach unterirdisch. Und dieses Wochenende ist endlich vorbei.
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