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Archiv-Artikel

Neben goldenen Leggins

KONSUM Am Kottbusser Damm eröffnet ein Biosupermarkt. Die Nachbarschaft scheint darauf nicht wirklich gewartet zu haben

Selbst Woolworth und der Edekamarkt schämen sich, es ist ihren Fassaden anzumerken

VON JURI STERNBURG

Das Bild ist das übliche: mehrfarbige Luftballons, ein paar Stände mit freundlich schauenden Mitarbeitern und der eine oder andere verwirrte Anwohner. So oder so ähnlich läuft quasi jede Supermarkteröffnung ab, auch wenn es sich in diesem Fall um einen sogenannten Biomarkt handelt. Außer vielleicht in Tschechien. Dort hatten Filmstudenten im Jahr 2004 ein fiktives Einkaufscenter beworben, es gab TV-Spots und Radiojingles mit unglaublichen Angeboten, einem Flachbildfernseher für umgerechnet 15 Euro etwa. Trotz Werbeslogans wie zum Beispiel „Kommen Sie nicht“ oder „Verschwenden Sie kein Geld“ kamen etwa 5.000 potenzielle Kunden am Tag der vermeintlichen offiziellen Eröffnung. Die beiden Filmstudenten hatten ein Baugerüst mit einer Pappfassade aufstellen lassen, von Weitem sah alles wie ein gewöhnliches Einkaufscenter aus, und als die Geleimten auf die vermeintliche Tür losstürmten und begriffen, dass sie hinters Licht geführt wurden, reichten die Reaktionen von Scham bis zu Empörung.

Wenn der Kottbusser Damm ein potemkinsches Dorf wäre, man müsste den Erbauern Einfallslosigkeit vorwerfen. Auf den 1,5 Kilometern zwischen Hermannplatz und Kottbusser Tor gibt es sechs Apotheken, neun Spielotheken und dreizehn Boutiquen mit mehr oder weniger ansehnlicher Kleidung.

Als ich noch hier lebte, fragte ich mich oft, wer eigentlich die ganzen goldenen Plastikleggins und silbernen Paillettenblusen kauft. Inzwischen ist die Sache klar, in dieser Ecke Neuköllns sieht man mittlerweile mehr Hipster mit goldenen Leggins und silbernen Paillettenblusen als Frauen mit Kopftüchern. Und mitten in diesem Rummelplatz aus orientalisch angehauchtem Einzelhandel und den neuerdings wie Pilzen aus dem Boden schießenden Vollbarthipstern strahlt nun der neue Biomarkt. Es gibt zwar bereits ein Reformhaus wenige Meter weiter, aber mit dem in verkaufsförderndes Licht getauchten Profi-Bio-Shoppingtempel kann die nun ziemlich verstaubt und spießig daherkommende Filiale mit nur einer einzigen Mitarbeiterin selbstverständlich nicht mithalten. Der ganze Kottbusser Damm wirkt durch den aufwendig durchgestylten Supermarkt wie ein übrig gebliebenes Relikt aus den 80ern. Selbst Woolworth und der Edekamarkt schämen sich, es ist ihren Fassaden anzumerken. In den Gängen werden bereits die ersten Kunden begrüßt, es lassen sich bequem drei Kinderwagen nebeneinander herschieben, und pro Regal gibt es mindestens einen Angestellten.

Als mich mein Vater im zarten Alter von neun Jahren fragte, was ich mit meinem Leben einmal anstellen möchte, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß: „Ich möchte von Probierpackungen leben.“ Probierpackungen hatten es mir sehr angetan, waren sie doch einer der wenigen Wege zu Nahrung außerhalb des Biomarktsegments. Dementsprechend waren Supermarkteröffnungen in meiner Kindheit ein echtes Highlight. Stets gab es Schokolade umsonst, überall standen Teller mit Gratisproben, ob Wurst oder Pralinen, Käsehäppchen oder Kuchenstückchen – Hauptsache, umsonst und ungesund.

Die Bio Company scheint aber von solch einer Anbiederei nicht viel zu halten, und ich bin enttäuscht. Direkt nebenan befindet sich ein Friseur beziehungsweise ein „Star Coiffeur“. Die Männer, die vor dem Laden stehen, sehen aus, als wenn sie diese Straße wie ihre Westentasche kennen, und das ist keine Floskel, sie tragen tatsächlich noch Westen. Angesprochen auf die neuen Nachbarn fällt ihnen nicht viel ein. Schließlich haben die sich nicht mal vorgestellt, sagt einer von ihnen. Einkaufen würden sie dort auch nicht, niemand von ihnen versteht, warum man 4,39 Euro für ein Roggenbrot ausgeben sollte, und ich kann ihnen nur zustimmen. Auch der Anwohner mit Hackenporsche lächelt nur müde, als ich ihn auf das Shoppingungetüm anspreche. Seine Frau arbeitet bei Edeka um die Ecke, er kennt die Mitarbeiter seit Jahrzehnten, und Gemüse gibt’s bei Tanju, wenige Meter weiter. Es verwundert doch ein wenig, dass selbst ein Multimillionenkonzern wie Edeka anscheinend mehr Bindung zur ansässigen Bevölkerung hat als die angeblichen Fair-trade-Fetischisten. Für wen ist dieser Laden also gebaut worden? „Na für die da hinten!“, schmunzelt der Anwohner und zeigt in Richtung Gräfekiez.

Es sind nur wenige Meter dorthin, und trotzdem ist es eine andere Welt. Hier gibt es hochwertige Dekoläden, einen Kunst- und Zeichenbedarfhandel, Spielzeugläden, angesagte italienische Restaurants, Lunch statt Lahmacun und jede Menge dieser auch in Mitte grassierenden Läden, von denen man gar nicht weiß, was sie eigentlich verkaufen. Das Stichwort lautet wohl Gentrifizierung. Zurück vor dem Bioladen gibt es die ersten Unstimmigkeiten mit den Anwohnern, denn Parkmöglichkeiten sind in dieser Gegend knapp, was den Neuköllner Bürgermeister und Hobbyethnologen Heinz Buschkowsky mal von „rücksichtslos parkenden Migranten mit Luxuslimousinen“ schwafeln ließ, dabei ist es einfach nur unglaublich schwierig, hier einen Parkplatz zu finden. Die Bio Company hat selbstverständlich ein eigenes Parkhaus für Luxuslimousinen. Allerdings nur für Kunden.