: Auf dem Fahrrad zur Macht
Die CDU-Spitzenkandidatin Monika Grütters stimmt im wohlhabenden Wilmersdorf ab, weitab von ihrem Direktwahlkreis Marzahn. Um ihren Bundestagseinzug muss sie sich keine Sorgen machen. Sie kann nur gewinnen
Die Frau, die an diesem sonnigen Vormittag mit dem Rad vor ihrem Wilmersdorfer Wahllokal vorfährt, sieht entspannter aus als ihre KonkurrentInnen. Keine Spur davon, dass sie noch bis Freitagabend, als sie mit Angela Merkel auf der CDU-Abschlusskundgebung im Tempodrom auf der Bühne stand, Wahlkampf machte. Keine Spur auch von der Anspannung einer Politikerin, die um ihre berufliche Zukunft bangt. Im Gesicht von Monika Grütters lässt sich allenfalls eine leichte Vorfreude auf den Wahlausgang erahnen, aber keine Sorge. Sie kann es sich leisten.
Die 43-Jährige ist die Spitzenkandidatin der Berliner CDU, ihr kann nichts geschehen. Sie wird auf jeden Fall nach dem Wahltag vom Abgeordnetenhaus in den Bundestag wechseln. Sie kann es sich leisten, anders zu sein. Sie kann es sich leisten, das Offensichtliche zuzugeben: „Ich rechne ja nicht damit, Marzahn direkt zu holen.“
Die Linkspartei-Hochburg ist Grütters’ Direktwahlkreis. Ihre Kandidatur dort ist Formsache. Die Kulturpolitikerin aus Münster sollte und wollte ihrer Partei zeigen, dass sie auch die Niederungen des Wahlkampfs durchsteht. Ihre Stimme gibt sie jedoch nahe ihrem Wohnort ab, im wohlhabenden Wilmersdorf. Zur Wahlparty ihres Marzahner Kreisverbands fährt sie erst am späten Abend, Stunden nach der Schließung der Wahllokale. Sie kann es sich leisten.
Die wenigen Journalisten, die Grütters beim Urnengang begleiten, gehen freundlich mit ihr um. Eine Journalistin fragt knallhart: „Wie fühlen Sie sich an diesem Wahltag?“ Die Kandidatin antwortet so erwartungsgemäß, wie es die Frage erahnen lässt: Vom guten Wetter ist die Rede, von der damit verbundenen hohen Wahlbeteiligung und dass Schwarz-Gelb es schaffen werde.
Eberhard Diepgen und seine Frau kommen vorbei – zufällig. Zumindest sagt der Exregierende: „Das ist jetzt nicht abgesprochen.“ Diepgen wählt im benachbarten Wahllokal. Er will das Direktmandat im armen Neukölln gewinnen. Auf der Landesliste ist er nicht abgesichert. Ob der 63-Jährige es sich leisten kann, seinem Wahlkreis fern zu bleiben, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Mit dem SPD-Konkurrenten Ditmar Staffelt liefert er sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Diepgen fragt Grütters: „Stellen die Ihnen auch so doofe Fragen?“ Er meint die JournalistInnen. Grütters bleibt freundlich – und antwortet nicht. Auch zwischen Diepgen und Grütters bleibt es bei einem kurzen Plausch und einem Lächeln fürs gemeinsame Foto. Eng befreundet sind die beiden nicht gerade.
Im Wahllokal bittet ein Fotograf die Unions-Frau zu posieren. Ob sie vor den drei Flaggen – EU, Deutschland und Berlin – stehen könne, wenn sie ihren Wahlzettel in die Urne wirft? Danke. Die kleine Szene wirkt etwas anmaßend angesichts nur eines Fotografen. Die banale Stimmabgabe wirkt nur bei massiver Medienpräsenz wichtig. Noch ist Monika Grütters eine Landespolitikerin. Noch.
Ihr werden Ambitionen auf den Posten der Kulturstaatsministerin nachgesagt. Und ein gutes Verhältnis zu Angela Merkel. Grütters schweigt dazu seit Monaten. Was sollte sie auch sagen? Dass sie den Job will? Wieder draußen, setzt sich Monika Grütters auf ihr Fahrrad. Die Hochrechnungen schaut sie sich in der CDU-Bundeszentrale an, nahe der Macht. Etwas anderes kann sie sich nicht leisten.
MATTHIAS LOHRE