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Archiv-Artikel

Die Linke mit dem Entchen

Sparsam, spießig, links: Angelika Gramkow ist auf Ordnung bedacht. Sogar Unternehmer und CDUler loben sie

Gramkow in drei Daten

27. September 1958: Angelika Gramkow wird in der Kleinstadt Grevesmühlen nahe der Mecklenburger Bucht geboren.

■ Januar 1999: Gramkow wird Fraktionsvorsitzende der PDS im Schweriner Landtag, nachdem ihre Vorgängerin wegen eines Ladendiebstahls zurückgetreten war. Sie sorgt bis 2006 dafür, dass die Genossen der ersten rot-roten Landesregierung die Treue halten.

■ 1. November 2008: Gramkow wird die erste Oberbürgermeisterin der Linkspartei in einer Landeshauptstadt, nachdem sie sich in einer Stichwahl mit 50,5 Prozent der Stimmen gegen den SPD-Kandidaten durchgesetzt hatte. (taz)

AUS SCHWERIN WOLF SCHMIDT

Irgendwo müssen die Linkenfresser doch sein. Nur wo?

Bürogebäude, fünfter Stock, eine Immobilienverwaltung. Hier sitzt Hans Thon, Präsident der Industrie- und Handelskammer, an der Wand hängt ein Wimpel des Rotary Clubs Schwerin. Thon ist dort Vizepräsident, jeden Donnerstag treffen sie sich im Hotel Crowne Plaza, das Foto auf der Vereinsseite zeigt ihn mit Smoking und Fliege.

Einer wie Thon, der kann doch gar nicht mit einer Oberbürgermeisterin von der Linkspartei können. Oder doch?

Thon sitzt am Konferenztisch und überlegt. Er macht eine lange Pause. „Ich bin beileibe kein Linker“, sagt er schließlich. „Aber mir fällt über sie einfach nichts Negatives ein. Sie ist der Wirtschaft gegenüber sehr aufgeschlossen.“

Man hört solche Sätze immer wieder in Schwerin. Von Leuten, von denen man das Gegenteil erwartet hätte. Von Unternehmern. Oder CDU-Politikern. „Vernünftig“ sind die Vokabeln, die ihnen einfallen, „zuverlässig“. Und: „verantwortungsvoll“.

Was ist da eigentlich los?

Wer Angelika Gramkow besucht, denkt erst mal: Die Frau hat doch einen Knall. Sie stellt ein gelbes Plüschtier auf den Konferenztisch mit rotem Schnabel und roten Füßen. Schnatterinchen. Die Ente aus dem DDR-Kinderfernsehen. Gramkow hat das Tier geschenkt bekommen. Guten Freunden schenkt sie auch heute noch am liebsten ein Schnatterinchen. Montagmittag, sechster Stock, Schweriner Stadthaus. Gramkow trägt einen grauen Blazer zum schwarzen Rock, ihr Gesicht ist braungebrannt, das Haar blond gefärbt. Durch die Panoramafenster ihres Büros sieht man das Schloss auf einer Insel im Schweriner See. An der Wand hängt ein Ausschnitt aus der Bild-Zeitung. „Ex-SED-Kader regiert jetzt Schwerin“ steht dort. Er ist nach ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin vor einem Jahr erschienen. Mit 20 ist Gramkow der SED beigetreten, einige Jahre arbeitete sie für die FDJ-Kreisleitung. „Ich gehe mit meiner Vergangenheit offen um“, sagt sie. Und das ist nicht gelogen. Auf der Internetseite des Parteivorstands steht: „Seit 1978 Mitglied der SED/PDS/Linkspartei“.

Nach zwei Minuten Ostalgie wird Gramkow nüchtern. Sachlich. Ernst. Das muss jetzt die Frau sein, von der selbst Unternehmer und CDUler schwärmen. „Ich bin sehr pragmatisch“, sagt Gramkow über sich.

Gegen Graffiti

Gramkow ist die erste Oberbürgermeisterin der Linkspartei in einer Landeshauptstadt. Das ist für sich schon bemerkenswert, doch noch bemerkenswerter ist, wie sie die 95.000-Einwohner-Stadt regiert. Sie geht mit einer schnellen Eingreiftruppe gegen die „Graffiti-Unkultur“ vor, hat für die Wirtschaft einen runden Tisch eingerichtet und will privaten Investoren „den roten Teppich ausrollen“. Sie ist fleißig, sparsam, auf Sauberkeit und Ordnung bedacht und ein bisschen spießig – Tugenden, mit denen man auch ein schwäbisches Städtchen führen könnte.

Gramkow ist das genaue Gegenteil vieler Linkenpolitiker in westdeutschen Landesverbänden wie Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen. Die brauchen bei ihren Forderungen nicht an die Machbarkeit zu denken. Für Gramkow zählt nichts anderes.

Der Blick aus dem Büro auf die propere Innenstadt täuscht. Die Stadt ist hoffnungslos verschuldet, Gramkow hat ihr in diesen Tagen einen strammen Sparkurs verordnet, auch weil das Land Druck macht. Es herrscht Haushaltssperre. Vor der Wahl im Herbst 2008 hatte sie noch ein kostenloses Mittagessen in den Grundschulen versprochen. Fast 40 Prozent der Kinder leben in Schwerin in Hartz-IV-Haushalten. Vor allem an den Rändern, wo die grauen Platten stehen, ist die Not groß. Aber aus dem Umsonst-Essen wird nun trotzdem nichts. „Ich muss erst meinen Haushalt in Ordnung bringen“, sagt die Diplomökonomin Gramkow.

Sie sieht keine Alternative zum Sparen. In der Verwaltung will sie Stellen abbauen, sogar der Zoo, das Theater und die Straßenbahn stehen inzwischen auf der Liste für mögliche Streichvorhaben. Gramkow kann sehr bestimmt werden, wenn sie über ihre Vorstellungen spricht. Sie haut dann schon mal mit beiden Handkanten auf den Tisch.

Angelika Gramkow gilt in der Linkspartei schon lange als Oberreala. Sie war in Mecklenburg-Vorpommern PDS-Fraktionschefin während der ersten rot-roten Landesregierung. Intern wurde sie heftig kritisiert, unter anderem wegen einer geplanten Gebietsreform. „Die Geli galt fast schon als Aussätzige“, erinnert sich Bodo Ramelow, der sie aus dem Parteivorstand kennt. Als 2008 von Westlinken ein 50-Milliarden-Investitionsprogramm gefordert wurde, schrieb Gramkow mit anderen Genossen einen Brief, der dies als „zutiefst unseriös“ und „gefährlich“ geißelte. Sie sei „schon sehr realpolitisch orientiert“, sagt einer ihrer Kritiker. Es klingt fast wie ein Schimpfwort.

Oberste PR-Frau

In Schwerin gibt Gramkow die oberste PR-Frau der Stadt, die auf der Bundesgartenschau für die Kameras lächelt. Die Werberin, die private Hochschulen anlocken will. Die Genossin der Bosse, die zur Einweihung einer Brauereianlage einen Strauß mitbringt, weil zu jedem Bier nun mal eine schöne Blume gehöre. „Wir streicheln die Unternehmen“, sagt Linkenfrau Angelika Gramkow.

In Schwerin sind viele Dinge ein bisschen anders als anderswo.

„Super M“ nennt sich Daniel Meslien in seinen Comics. Meslien, 31, ist Fraktionschef der SPD in der Stadtvertretung. Er trägt einen Anzug mit Juso-Nadel am Revers und nach oben gegelte Haare. In seinen Comics trägt er ein Superheldenkostüm und rettet Kinder vor dem Verhungern. Meslien findet es eine Sauerei, dass die Oberbürgermeisterin das Umsonst-Essen an den Grundschulen nicht einführt. „In Schwerin hat die SPD die Linke links überholt“, sagt er. Es ist die kleine Rache der Schweriner SPD. Auf Bundesebene wirft die Linkspartei der SPD soziale Kälte vor. Hier ist es andersherum.

Gramkow sitzt am Abend mit zusammengekniffenen Lippen im Rathaus, das mit seinen Zinnen aussieht wie eine Burg. In einem Saal mit Kronleuchtern an den Decken wird das Sparpaket der Oberbürgermeisterin verhandelt. Meslien stellt sich an das Pult und poltert los: „In Schwerin gibt es Kinder, die hungern!“ Es sind die fünf Minuten von Super M.

Am Ende bleibt es bei einer Minirevolte. Die SPD zwingt die Linke, das kostenlose Grundschulessen erst mal nur bis 2010 zu verschieben. Schon jetzt ist aber klar: Auch dann wird es kein Geld geben. Das Minus der Stadt liegt bei 60 Millionen Euro.

In Wirklichkeit geht es um etwas anderes. Die SPD hatte einen Plan. Einen Masterplan. Sie wollte den alten Oberbürgermeister von der CDU aus dem Amt jagen wegen des Umgangs der Stadt mit dem Hungertod der fünfjährigen Lea-Sophie. Der CDU-Oberbürgermeister musste am Ende zwar gehen, doch der SPD-Kandidat verlor im Herbst 2008 mit einem Abstand von nur 325 Stimmen gegen Gramkow. Eine Linke an der Macht? Damit hatte keiner gerechnet.

„Nationale Front, olé“

Weil die SPD beleidigt ist, muss Gramkow nun immer wieder die Unterstützung der CDU suchen – und macht ihrerseits Zugeständnisse an die Union. Der Stadtpräsident wurde mit den Stimmen von CDU und Linkspartei gewählt. Und auch in der Stadtvertretung heben Union und Linke immer wieder gemeinsam die Hand. „Nationale Front, olé“, meckert Meslien von der SPD dann schon mal per Twitter-Mitteilung.

Eigentlich dürfte es das gar nicht geben. „Wir lehnen die Zusammenarbeit mit der Partei ‚Die Linke‘, den politischen Erben der totalitären SED, ab“, heißt es in einem CDU-Parteitagsbeschluss. In Schwerin wird das ignoriert. Dort hat das Kuscheln zwischen Linkspartei und CDU fast schon Tradition. „Gerdt-Show“ wurden die Absprachen zwischen Gert Rudolf, der bis vor Kurzem CDU-Fraktionschef war, und dem Linken-Fraktionschef Gerd Böttger genannt. Dass der Linkspartei-Gerd in der DDR Kreissekretär der Nationalen Front war, störte dabei nicht.

„Nur weil jemand in einer bestimmten Partei ist, ist er nicht per se gut oder schlecht“, sagt der CDU-Gert über die linke Oberbürgermeisterin. „Ich brauche eine Mehrheit“, sagt Gramkow nur. „Und wo die herkommt, ist mir eigentlich egal.“

Ein paar Schweriner gibt es dann aber doch, die grundsätzliche Bedenken mit einer Stadtspitze von der Linkspartei haben.

Einer davon ist Martin Klähn, 50, ein hagerer Mann mit Brille, kurzen braunen Haaren und Dreitagebart. Er hat vor zwanzig Jahren in Schwerin das Neue Forum gegründet. Und muss nun mitanschauen, wie einstige SEDler das Ruder übernommen haben. „Am furchtbarsten finde ich, dass die Altkader ausgerechnet auch noch das Linkssein besetzen wollen“, sagt er.

Freitagabend in der Schweriner Paulskirche, einer der Orte, an dem sich die Bürgerbewegung damals traf. Die Kirche ist etwas mehr als halb gefüllt, viele der Männer und Frauen, die auf den Bänken sitzen, haben graue Haare. Und feuchte Augen. Vorne steht Klähn mit anderen Mitstreitern der ersten Stunde. Sie erinnern sich an den 23. Oktober 1989, als der Aufbruch ganz Schwerin erfasste. Das Neue Forum hatte zur ersten Montagsdemo aufgerufen – worauf die SED eine Gegendemo organisierte. Zur selben Zeit am selben Ort. Die SED verlor. 40.000 Schweriner demonstrierten mit Kerzen für die Wende.

Angelika Gramkow stand damals auf der Seite der Staatspartei. „Ich habe die Wende nicht befördert“, sagt sie heute. „Ich habe meine Heimat geliebt.“

Auf der Gedenkveranstaltung hat sie sich nicht blicken lassen.