: Der erste Berliner kam aus Copnic
MITTELALTER Als der Slawenfürst Jacza über Teile der heutigen Hauptstadt herrschte, hatten Berlin und Cölln noch nichts zu melden. Wenn sein Fürstentum von Dauer gewesen wäre, hätten die Berliner 2012 nichts zu feiern
VON OLAF B. RADER
Der erste Berliner, dessen Namen wir kennen, war ein Köpenicker. Er hieß Jacza und war ein Spreeländer – ein Slawe. Von seiner Köpenicker Burg aus beherrschte er ein kleines Fürstentum an Spree und Dahme. Als er 1176 starb, hinterließen Berlin und Cölln, die sich links und rechts der Spree gegenüberlagen, gerade ihre ersten Spuren im märkischen Sand.
Copnic hingegen, wie Köpenick damals geschrieben wurde, bildete schon eine kleine, aber feine Ansiedlung mit einer Burg samt ritterlicher Besatzung, besaß ein wenig Handwerk und Handel, etwas Landwirtschaft, Fischerei sowie eine eigene Münzprägung.
Obwohl man sich das alles noch sehr bescheiden vorzustellen hat, findet sich Ähnliches zu dieser Zeit erst wieder in Spandau und Brandenburg sowie in Lebus an der Oder. Begünstigt wurde die Entwicklung Köpenicks durch seine strategisch wertvolle Lage, umgeben von schützendem Wasser an einer Furt durch die Spree. Das zwang jeglichen Verkehr von West nach Ost durch dieses Nadelöhr, was dem Burgherrn an diesem Punkt Macht, Einkünfte, Kontakte und Informationen einbrachte.
In der Mitte des 12. Jahrhunderts hieß dieser Burgherr Jacza. Über seine Münzen hat er der Welt seinen Namen (Jacza, Jaczo), den seiner Burg (Copnic) und sein Selbstverständnis als slawischer Fürst (knes) mitgeteilt. Durch eine günstige Ehe mit einer schlesischen Hochadligen erbte er in Polen Land und stieg dort zu einem der einflussreichsten Großen auf. Seine Gegenspieler saßen in Sachsen an der Elbe: der brandenburgische Markgraf Albrecht der Bär, aber auch Erzbischof Wichmann von Magdeburg sowie die Markgrafen der Lausitz.
Im Jahre 1150 brachte Markgraf Albrecht der Bär die Brandenburg an sich, auf die sich Jacza große Hoffnungen gemacht hatte. Um der militärischen Übermacht der ostsächsisch-deutschen Fürsten widerstehen zu können, verbündete sich der Köpenicker mit den Herzögen von Polen aus dem Hause der Piasten. Es gelang Jacza 1157 sogar, die Burg an der Havel für einige Monate zu besetzen, doch konnte Albrecht sich durchsetzen. In den letzten Lebensjahren engagierte sich Jacza verstärkt in Polen, wo er Kirchen gründete und in den Thronstreitigkeiten der fürstlichen Familie mitmischte. Zweimal reiste er sogar ins Heilige Land, um Jerusalem und die Heiligen Stätten der Christenheit zu besuchen. Im Februar 1176 starb er noch nicht einmal 50-jährig und wurde nahe Krakau in dem von ihm selbst gegründeten Kanonikerstift der Ritter vom heiligen Grabe in Michów bestattet.
Das und noch viel mehr kann man aus dem unterhaltsamen und sehr verständlich geschriebenen Buch Michael Lindners über Jacza von Köpenick erfahren, in dem er erstmals umfassend das Leben und Sterben dieses erstaunlich weltgewandten „Sorbenfürsten“ von der Spree darlegt. Umfassend, das heißt unter Einbeziehung aller noch vorhandener Materialien der damaligen Zeit – der kunstvoll-repräsentativen Münzen, der archäologischen Funde und der Texte, die andere in Böhmen, Brandenburg und Polen über Jacza verfasst haben.
Lindner, der an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mittelalterlichen Quellen bearbeitet, hat sich über Jahre mit dieser aufwändigen Spurensuche beschäftigt. Im gelingt es, auch unter Einbeziehung der Forschungen der polnischen Mittelalterhistoriker, aus den wenigen Versatzstücken eine spannende Geschichte zu entrollen. Der Autor vermeidet dabei jede nationale Vereinnahmung des Köpenickers, was lange die Historikerblicke verschleiert hatte. Denn Jacza war als slawischer Spreeanwohner in der Mitte des 12. Jahrhunderts weder Deutscher noch Pole. Lindner sieht Jaczas Schicksal durch die Lage seines Köpenicker Gebietes bestimmt – im östlichen Vorfeld des stauferzeitlichen Imperiums auf der einen, und am Rande des Piastenreiches auf der anderen Seite. Jaczas Territorium lag im Kreuzungsbereich der Interessen zweier stärkerer Nachbarn.
Und was trieben die Berliner zu dieser Zeit? Im Schatten Köpenicks nur wenige Kilometer flussabwärts steckten Berlin und seine heute fast vergessene zweite Hälfte Cölln erst zaghaft die Köpfe aus den feuchten Wiesen an der Spree. Solange Köpenick gedieh, hatten es beide Ansiedlungen überaus schwer, über den Status von Sumpfblüten hinauszugelangen. Erst als Copnic kriselte und sich in Berlin und Cölln die brandenburgischen Markgrafen Johann I. und Otto III. als neue Herren etabliert hatten, trat eine grundlegende Änderung ein: Mitte der 1230er Jahre eroberten die beiden markgräflichen Brüder Köpenick und Umland, förderten den Berlin-Cöllner Spreeübergang zum Nachteil Köpenicks und setzten mittels eines Flussstaus, der eigentlich Mühlen antreiben sollte, auch noch gleich den östlich, flussaufwärts gelegenen Konkurrenten unter Wasser. Copnic bekam nasse Füße und stagnierte fortan. Berlin und Cölln jedoch zogen nun vorbei.
Doch hätte andersherum die Doppelsiedlung je zu ihrer späteren Größe aufsteigen können, wenn Jacza und sein Copnic weiter prosperiert hätten? Hätte also die deutsche Hauptstadt sogar Köpenick heißen können? Jacza wäre dann der erste namentlich bekannte Hauptstädter geworden, und die Berliner hätten 2012 nichts zu feiern gehabt.
■ Michael Lindner: „Jacza von Köpenick. Ein Slawenfürst des 12. Jahrhunderts zwischen dem Reich und Polen. Geschichten aus einer Zeit, in der es Berlin noch nicht gab“. Viademica Verlag, Berlin 2012, 216 Seiten, 19,80 Euro