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Der Landschaftsmaler Sven Drühl malt gut verkäufliche Bilder, die auch über der Couch hübsch aussehen. Damit habe man es nicht leicht in der Szene, sagt der Künstler, Mathematiker und Tänzer. Im Interview spricht er über Landschaftsmalerei mit Gasmaske, seine Leidenschaft für Swing und die Frage, was das alles mit Mathematik zu tun hat„Der Drühl macht halt Bäume und Berge“

„Es kommt schon mal vor, dass ich ein wenig vor mich hin tanze, vielleicht nicht unbedingt mit der Gasmaske.“ – Im Atelier malt Sven Drühl wegen giftiger Lacke mit Maske, außerdem ist er passionierter Lindy-Hop-Tänzer

Interview Andreas HartmannFotos Joanna Kosowska

taz: Herr Drühl, Sie vergleichen Ihre Arbeitsweise als Künstler mit der eines DJs. Für einen Landschaftsmaler, wie Sie es sind, ist das eher ungewöhnlich.

Sven Drühl: Etwas Neues im Bereich der Landschaftsmalerei entsteht bei mir vor allem durch die Referenzen, auf die ich mich beziehe. Ich nehme zum Beispiel einen Teil von einem Gemälde von André Derain, einen Teil aus einem Werk von Caspar David Friedrich, mixe alles zusammen, und es entsteht erkennbar ein Gemälde von Sven Drühl. Ich male letztlich im engeren Sinne keine Berge, sondern einen Kommentar zur Bergmalerei.

Und das macht Sie gleich zum DJ-Maler?

Ich bin nun mal ein Kind der Neunziger. Als ich 1992 begonnen habe, Kunst zu studieren, war gerade die Debatte um die Postmoderne sehr angesagt, und man hat die ganzen Franzosen von Jean Baudrillard bis Michel Foucault gelesen. In der Postmoderne geht es um das Zusammenmixen verschiedener Stile, in postmoderner Architektur werden etwa Bezüge vom Barock mit der Hypermoderne in einem einzigen Gebäude kombiniert. Ich habe in der Zeit damals viel in Clubs gearbeitet, hinter dem Tresen, und bin dann von DJs beeindruckt gewesen, die Musik zusammenmixten, ganz in diesem postmodernen Sinne. Bei mir als Künstler ist das ähnlich wie bei so einem DJ, der beispielsweise Kraftwerk mit Whitney Houston mixt.

Hat man es schwer, als Landschaftsmaler in der Kunstszene anerkannt zu werden?

Es sagen schon viele: Der Drühl macht halt Bäume und Berge, und die gehen gut. Bei mir spielt das Klischee von verkaufbarer Flachware mit rein. Aber damit wird heute eigentlich jeder Maler konfrontiert, wenn er nicht gerade einen riesigen Penis in seinem Bild unterbringt. Als Maler ist man per se erst mal verdächtig. Wenn ich dagegen Altkleiderhaufen ausstellen würde, würde ich sofort als kritischer Künstler wahrgenommen werden.

Warum überhaupt Landschaftsmalerei?

Ich bin schon immer im Museum durch den Bereich mit der zeitgenössischen Kunst gegangen und habe mir das auch aus theoretischem Interesse angeguckt. Aber richtig kleben geblieben bin ich stets im Saal mit der Kunst des 19. Jahrhunderts – egal ob im Kunstmuseum Basel oder im Folkwang in Essen. Romantik, Spätromantik, Symbolismus – das hat mich fasziniert. Gar nicht wegen der romantischen Stimmung, die die Bilder dieser Epoche transportieren. Eher so: Da hinten links im Bild das Gebüsch, wie das gemalt ist, das haut mich um. Wie schafft man es, rein technisch, diese Stimmung mit Farbe oder Form so präzise und toll einzufangen: Das will ich wissen. Der kleine Mensch in der großen Landschaft, das romantische Klischee, das interessiert mich dagegen überhaupt nicht.

Wo Sie schon davon sprechen: Landschaftsmaler gingen früher raus in die überwältigende Natur. Ihre Bilder, gesampelt aus Vorlagen in Kunstbänden, entstehen dagegen komplett im Atelier. Wegen der Lacke, die Sie verwenden, arbeiten Sie mit Gasmaske, das ist schon das Gegenteil vom Erspüren der Erhabenheit der Natur.

Um das Gefühl von Erhabenheit oder Pathos geht es mir eben gar nicht. Sondern darum zu gucken, wie kann ich denn heute mit zeitgenössischen Mitteln noch Landschaftsmalerei machen, ohne dass das banal ist. Früher gingen diese Maler mit dem Stühlchen in die Landschaft und haben die gemalt. Das kann ich heute nicht mehr machen, das haben die damals besser gemacht, als ich es je hinbekommen würde. Und bei mir würde dabei sowieso nur Abklatsch entstehen, was ja blödsinnig wäre.

In neueren Arbeiten drehen Sie das Spiel mit Ihren Fragen über die „Echtheit“ von Natur noch weiter. Da ist die Ausgangsbasis Ihrer Landschaften vir­tuell, genauer gesagt: die Hintergründe von Computerspielen. Sie faken also eine Fake-Natur.

Das stimmt. Wenn in diesen Spielen ein Hubschrauber durch die Landschaft fliegt, entsteht die Landschaft nicht mal mehr aufgrund von Fotovorlagen rea­ler Landschaften, sondern es gibt Programme, die Landschaften aufgrund verschiedener Parameter, die man eingibt, errechnen. Der Computer generiert einfach Landschaften, die es nie gegeben hat, und die nehme ich als Vorlagen. Die Natur, die ich dann abbilde, ist also komplett künstlich.

Hilft es Ihrem Erfolg als Künstler, dass Ihre Bilder durchaus dekorativ sind, dass man sie sich gern über die Wohnzimmercouch hängt? Ihre Alpenpanoramen etwa gehen sicherlich nicht nur zufällig gern in die Schweiz.

Mathematisch angeordnet? Waschplatz in Drühls Atelier
Sven Drühl

Der Mensch: Sven Drühl wurde 1968 in Nassau an der Lahn geboren, hat in Essen Kunst und Mathematik studiert, zog 2002 nach Berlin. Hier lebt er mit seiner Lebensgefährtin in Prenzlauer Berg. Er tanzt und unterrichtet den Swingtanz Lindy Hop.

Der Künstler: Drühl ist Landschaftsmaler, besser gesagt: postmoderner Landschaftsmaler. Seine Bilder aus Öl, Silikon und Lack entstehen im Weddinger Atelier und bilden nur vermeintlich die echte Natur ab. Drühl hatte zahlreiche Ausstellungen in Galerien und Museen, zuletzt im renommierten Haus am Waldsee.

Der Kunstwissenschaftler: Drühl hat mehrere Ausgaben des Kunstmagazins Kunstforum International mitherausgegeben, diverse Ausstellungen kuratiert und Lehraufträge an verschiedenen Universitäten erhalten.

Ich mache durchaus Kunst für den Museums- und Galeriesektor, sehr geeignet für das Verkaufssegment. Ich habe aber auch überhaupt kein Problem damit, wenn jemand über eine Arbeit von mir sagt: Oh, das ist aber ein schönes Bild. Jonathan Meese würde sich sicherlich erbrechen, wenn man das zu ihm sagen würde. Bei ihm muss immer auch irgendeine Provokation zu sehen sein, das gibt es bei mir nicht. Bei Biennalen und der Documenta findet so etwas, was ich mache, so gut wie gar nicht statt. Da gibt es keine Maler, die vermeintlich schöne Bilder malen. Da macht man dann irgendetwas mit einem Flüchtlingsboot mit Harfensaiten dran beispielsweise. Vieles dieser politischen Kunst ist jedoch meiner Meinung nach banal und in der Badewanne ausgedacht.

Sie haben, überraschend für einen Künstler, nicht nur Kunst, sondern auch Mathematik studiert. Wieso das denn?

Das mit der Mathematik war eher für meine Eltern, denn die waren total geschockt, als ich ihnen offenbarte, dass ich freie Kunst studieren wollte.

Gibt es für Sie Verbindungen zwischen der Mathematik und der Kunst, speziell Ihrer eigenen?

Zwischen Mathematik und Kunst an sich vielleicht weniger, außer, dass beides ziemlich abstrakt ist. Mathematik sowieso, und bei Kunst der Zugang zu ihr, das Nachdenken darüber. Bei mir und meinen Arbeiten im Speziellen sieht man dagegen unbedingt, dass ich auch Mathematiker bin. Viele Leute, die meine Kunst betrachten, sehen das sofort.

Woran genau?

Weil bei mir immer alles sauber strukturiert ist, ich beschäftige mich mit klar umgrenzten Pro­blem­gebieten, und meine Motive, etwa Berge und Bäume, kehren immer wieder, in anderen Kombinationen. In der Mathematik nennt man etwas Vergleichbares, die immer wieder neue Anordnung von Zahlen oder Zahlenmengen, Permutation.

Sind Sie denn so etwas, was man einen mathematischen Typen nennt?

Ich würde sagen, ich bin der organisierteste Künstler der Welt. Wenn mir jemand sagt, im nächsten Januar findet eine Ausstellung statt, habe ich schon im Mai vorher den Hängeplan fertig und könnte der Institution, mit der ich zusammenarbeite, auch schon alle benötigten Bilder liefern. Mache ich in der Regel auch. So etwas kennen die Museums- oder Galerieleute sonst gar nicht, weil bei Künstlern gern alles auf den letzten Drücker kommt.

Sie sind auch fanatischer Swingtänzer und unterrichten sogar Lindy Hop. Ihre Kunst wird gern als etwas unterkühlt bezeichnet, Swing ist dagegen ganz schön hot, oder?

Swing ist einfach das Gegenstück zur Arbeit im Atelier. Dort ist man eher der Einzelkämpfer an der Leinwand. Swing tanzen heißt dann rauszugehen, unter Leuten, und kommunikativ sein.

„Bei mir als Künstler ist das ähnlich wie bei so einem DJ, der beispielsweise Kraftwerk mit Whitney Houston mixt“

Wie regelmäßig suchen Sie diese Kommunikation?

Bis zu drei, vier Abende in der Woche gehe ich tanzen. Lindy Hop hat neben Tango inzwischen die größte Tanzszene in Berlin. Ich kenne Leute, die machen nichts anderes mehr in ihrer Freizeit und die haben auch nur noch andere Tänzer im Freundeskreis. Mir geht es nicht ganz so, aber fast. Im Vergleich zu Lindy Hop wird das meiste andere eben auch schnell langweilig. Ich komme selbst auch kaum noch zu Vernissagen, die sind meist donnerstags oder freitags, und an diesen Tagen unterrichte ich oder gehe tanzen.

Selbst hier in Ihrem Atelier lief Swing, als ich zur Tür hereinkam. Gehen Sie hier auch manchmal ein paar Lindy-Hop-Figuren durch, mit der Gasmaske vor dem Gesicht?

Es kommt schon mal vor, dass ich ein wenig vor mich hin tanze, vielleicht nicht unbedingt mit der Gasmaske. Ich höre einfach prinzipiell sehr viel Swing. Man hört dann irgendwann intuitiv die Breaks, und das hilft ganz generell als Tänzer. Selbst wenn du bei einer Lindy-Hop-Veranstaltung dann ein Swingstück hörst, das du nicht kennst, weißt du sofort, wie es aufgebaut ist und wo die Breaks kommen.

Hat Lindy Hop denn irgendetwas mit Mathematik zu tun?

Es gibt prinzipiell zwei Arten von Tänzern, würde ich sagen: Es gibt die Taktzähler, und es gibt die Leute, die einfach im Körper spüren, wie sie sich zur Musik zu bewegen haben. Und ich glaube, ich gehöre schon zu den Zählern. Erst wenn ich eine Figur durchgezählt habe, habe ich sie auch im Körper.

Sie sind nicht nur Maler, sondern auch Kunsttheoretiker. Sie hatten Lehraufträge und eine Gastprofessur an Kunsthochschulen und haben mehrere Bände der renommierten Zeitschrift Kunstforum International mit herausgegeben. Woher kommt dieses starke Interesse für die Theorie?

Schon während des Studiums habe ich gemerkt, dass ich mich gern mit Theorie und Philosophie auseinandersetze. Ich habe mich aber immer vor allem als Künstler gefühlt und wollte nie wirklich ganz zur Theorie wechseln. Es war eher so, dass Freunde von mir, als die noch nicht von ihrer Kunst leben konnten, beim Messebau etwas dazu verdienten und ich eben mit meiner Arbeit für die Zeitschrift Kunstforum. Über die Schreiberei habe ich dann auch andere Künstler kennengelernt, auch mal Museumsleute. Das war dann gut und schlecht gleichzeitig. Es gab dann auch viele Museumsleute, die sagten: Drühl, das ist doch der Schreiber. Und dann wurde man zum Schreiber, der nebenbei auch malt, und genau so wollte ich eigentlich nie wahrgenommen werden.

Sven Drühl über dekorative Kunst: „Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn jemand über eine Arbeit von mir sagt: Oh, das ist aber ein schönes Bild. Jonathan Meese würde sich da sicherlich erbrechen“

Vor ein paar Jahren haben Sie gemeinsam mit Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien die Ausstellung „Berlin.Status“ kuratiert und dazu einen zweiteiligen Katalog mit herausgegeben, eine Art „Top 100“ der interessantesten jungen Künstler in Berlin. Das war ein ziemlicher Aufreger in der hiesigen Kunstszene.

Christoph Tannert ist in Berlin jemand, der sich hier auskennt wie kein anderer. Seit zwanzig Jahren, seit ich ihn kenne, geht er wirklich in jedes Atelier und schaut sich Sachen an. Ich kenne sonst niemanden, der so viel über junge, zeitgenössische Künstler weiß wie er. Und er meinte dann eben irgendwann zu mir: Komm, lass mal gucken, wer in Berlin gerade von den jungen Künstlern relevant ist, über welche man gerade spricht. In den zwei Bänden wurden 100 Künstler vorgestellt. Die Behauptung in unserem Buch war natürlich schon, Leute mit aufzunehmen, von denen wir glaubten, dass sie ihren Weg gehen würden. Da wäre es langsam mal interessant zu schauen, wer von diesen Leuten heute überhaupt noch bei der Kunst ist. Wenn ich das jetzt mal grob überschlage, wird schon deutlich, dass von den 100 vielleicht nur noch 60 mit dabei sind.

Ihre Künstler-Hitparade hat Ihnen jedenfalls auch viel Ärger eingebracht.

Ja, natürlich. Ärger gibt es ja immer bei derartigen Projekten. Da gab es genug Unzufriedene, die fragten: Warum bin ich da nicht mit drin in dem Buch? Dann sagte man: Aufgenommen wurden nur die Jahrgänge 1973 bis 1978, und du bist Jahrgang 1964. Und dann kam eben zurück: Was für ein doofes Konzept. Immer, wenn man bestimmte Leute für etwas auswählt, macht man sich angreifbar. Das kenne ich aber auch von der Arbeit für das Kunstforum. Da bringt man einen Band raus zum Thema „Gewalt“ oder „Magie“, und sofort schicken dir zwanzig Leute ihren Katalog und fragen: Warum taucht meine Arbeit da nicht auf, die hätte doch auch gepasst.

„Berlin.Status“ befeuerte sicherlich noch zusätzlich den Hype um Berlin als Kunststadt. Derzeit müssen aber auch immer mehr Galerien wegen den steigenden Mieten schließen. Ist Berlin denn überhaupt noch diese viel beschworene Kunststadt?

Ja, nach wie vor. Wo sollte ich denn sonst hinziehen in Deutschland als Künstler? Nach München, Düsseldorf oder Hamburg? Es geht ja auch darum, wo die Kuratoren sind und wo man dich als Künstler wahrnimmt, und diesbezüglich sind die drei genannten Städte Provinz. Da gibt es kleine Szenen und auch gute Leute, keine Frage. Aber wenn ich als Künstler weiterkommen will, kann ich das in München vergessen. Dort bin ich nicht wirklich internationaler Künstler, sondern eher Lokalkünstler.

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