Berliner Szenen: Soziale Lage verbessern
Flaschenpfand
Heute will ich die Welt verbessern und weiß auch schon, wie: jemandem Geld geben, die/ der’s ganz dringend braucht. Voll uneigennützig klingt das, Superheld*in und so; aber so ist es eigentlich nicht. Im Gegenteil: Meinen Müll will ich loswerden, die Pfandflaschen da, seit Wochen schon unter der Spüle gestapelt, weil ich immer vergess’, sie beim Einkaufen mit zum Automaten zu nehmen. Aber egal: Für mich ist es Müll, für andere Zusatzverdienst, überhaupt erst Verdienst.
Am liebsten hätt’ ich ja, dass die Frau mit dem Basecap meine Flaschen jetzt kriegt. Die Frau mit dem Basecap kommt drei Mal die Woche und gräbt den Müll unten durch. Nach ihr kommt meist so ’n Rentner, der sich immer erst umschaut, ob wer guckt, bevor er in den Eimer reinleuchtet. Auch dem würd’ ich meine Pfandflaschen voll gönnen, weil oft geht er leer aus, weil die Frau schon vor ihm da war. Und dann kommt auch immer noch so ’n Profi, so einer mit Rad und Riesentaschen zum Sammeln en masse. Den find’ ich irgendwie nicht so sympathisch; weiß auch nicht, warum.
Ich seh’ sie alle von meinem Fenster – Blick auf die Straße, Blick auf den Müll, Blick auf die aktuelle soziale Lage im Kiez. „Soziale Lage verbessern, genau!“, denk ich jetzt und pack meine Flaschen endlich mal ein, geh raus und stell sie zum Müll, geh dann weiter, voll zufrieden mit mir. Doch plötzlich: der Profi!
„Wieso taucht der denn ausgerechnet heut so früh auf?“, denk ich und fast renn ich zurück zu den Flaschen, um sie aufzuheben, für den Rentner, die Frau. Aber dann renn ich doch nicht, weil das wär’ extra gemein: Jemandem das Geld, das ich grad gespendet habe, gleich wieder wegzuschnappen vor der Nase. Also geh ich einfach weiter und vielleicht ja direkt zum Laden: einkaufen, neue Flaschen, mit Pfand, für den nächsten Versuch. Joey Juschka
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