: Tief verborgen hinter der Form
Der enorme Einfluss von Geheimlehren, Astrologie und mittelalterlicher Mystik auf die Künstler des Bauhauses war bisher kaum bekannt. Das Gustav-Lübke Museum in Hamm zeigt deshalb die Ausstellung „Das Bauhaus und die Esoterik“
AUS HAMMKÄTHE BRANDT
Es ist offenbar an der Zeit, das Prinzip des strengen Funktionalismus, für welchen das Bauhaus gerühmt und gescholten wurde, zu relativieren. Esoterik und okkulte Strömungen haben viele der Bauhaus-Künstler nachhaltig beschäftigt. Nach Außen hin aber wahrte man den Anschein eines homogenen Konzepts. Im Gustav-Lübke Museum in Hamm betritt man durch einen goldenen Vorhang die Ausstellung „Das Bauhaus und die Esoterik“, wo die Berührungen der Künstler mit Geheimlehren untersucht werden sollten. Das ist weniger geheimnisvoll als nüchtern und informativ.
Das Bauhaus, 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet und 1925 nach Dessau verlegt, zählte viele der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts zu seinen Lehrern. Unter den rund 200 Exponaten befinden sich viele Skizzen, Tagebuchaufzeichnungen, Typoskripte und Studienpapiere wie Johannes Ittens „Tempelherrenhaus-Tagebuch“ von 1920 oder Bruno Adlers Buch „Utopia“ (1921). Vor allem diese Blätter bezeugen die Inbrunst der Auseinandersetzung mit dem vielgesichtigen Körper- und Seelenkult, wie er von Anthroposophie, Theosophie, Mazdaznan-Lehre und anderen Bewegungen seit der Jahrhundertwende verbreitet wurde. Es ging um die körperliche, vor allem aber um die spirituelle Entwicklung des Menschen, nicht allein um ästhetische Erweckung oder Wohnkultur. Der Einfluss der lebensreformerischen Weltanschauungen und ganzheitlichen Philosophien auf andere Bewegungen jener Zeit ist bekannt. Im Blick auf die doch seltsam anmutende Verbindung von Avantgard-Design-Schule und Esoterik in den Jahren zwischen 1919 und 1925 leistet die Hammer Ausstellung aber längst fällige Aufklärung. Die ausgestellten Arbeiten vermögen das Bild der einflussreichen Formschmiede um eine wichtige Dimension zu erweitern.
Irgendwie hat man ja schon immer geahnt, dass Kandinsky, Muche, Klee und die anderen die strengen Prinzipien, die für die Bauhaus-Kunst gelten sollten, mit ihrer Kunst – und sei es ironisch – unterlaufen haben. Dass der Einfluss esoterischen Gedankenguts, von Geheimlehren, Astrologie und mittelalterlicher Mystik indes derart groß war und so viele Kollegen erfasst hatte, war bislang höchstens einem engeren Kreis der Kunstwissenschaft bekannt. Parallel zur Schau wird im Gustav Lübke Museum und in drei anderen Museen der Hellweg-Region (in Ahlen und Unna) der 100. Geburtstag des westfälischen Künstlers Fritz Winter mit einer großen Retrospektive begangen. Auch er war ein Bauhaus-Künstler, dessen Bilder seine Empfänglichkeit für eine schöpferischen Verbundenheit mit Wachstums- und Naturprozessen offenbaren.
Der Einfluss, den das Bauhaus über weite Strecken des 20. Jahrhunderts auf alle Kultursparten hatte, gründete auf den strengen Gestaltungs- und Formvorstellungen, sowie den rationalisierten Produktionsbedingungen, die im Manifest von 1919 formuliert wurden: form follows function. Als Lebensentwurf aber besaß die Bauhaus-Idee – inspiriert von den Werkgemeinschaften der mittelalterlichen Bauhütten – auch eine soziale Dimension. Viele der Bauhaus-Künstler sahen in der gemeinschaftlichen künstlerischen Beschäftigung mit den esoterischen Weltanschauungen einen Weg, ihr subjektives Empfinden im Kollektiv zu ergründen. Johannes Itten etwa, dem eine dritte Ausstellung (“Wege zur Kunst“) im selben Haus gewidmet ist, hatte als Lehrer des Bauhauses große Wirkung. Seine Form- und Farbstudien begründeten eine Farbenlehre, die für die Künstlerausbildung bis heute Geltung hat. Auf der Suche nach Ordnung und Systematisierung der Farben untersucht er in vielen Kompositionen Farbwirkungen und Farbklänge. Gleichzeitig aber glorifizieren seine allegorisierenden Kinderbilder aus den frühen 1920er Jahren seinen eigenen kleinen Sohn als Heilsbringer: das Kind als Ursprung der Kunst.
Die Offenlegung der verborgenen und ambivalenten Seiten des Bauhaus entspringt offensichtlich dem Interesse, die Weimarer Hochschule für Gestaltung mit dem Hinweis auf ihre Abhängigkeit von irrationalen Zeitströmungen aus der langlebigen Selbststilisierung zu „befreien“. So ist die Ausstellung vor allem ein Zeugnis der unermüdlichen Suche von Künstlern nach der eigenen Rolle und der Bedeutung der Kunst.
Bis 8. Januar 2006