„Man will das nicht wahrhaben, wenn man liebt“

Im Ehrenmordprozess belastet die ehemalige Freundin des mutmaßlichen Schützen alle drei angeklagten Brüder schwer

Als Melek A. den Saal B 129 im Landgericht Moabit betritt, verdeckt ein Personenschützer mit seiner Anzugjacke ihr Gesicht. Unter dem weißen Kapuzenpulli trägt sie eine schusssichere Weste. Wenn der Staatsanwalt, der zu ihrer Rechten sitzt, oder die Verteidiger zu ihrer Linken Fragen an sie richten, blickt sie trotzdem geradeaus. Melek A.s Identität ist geheim. Sie ist die Hauptbelastungszeugin im so genannten Ehrenmordprozess – und deshalb im Zeugenschutzprogramm der Polizei.

Die 18-Jährige, die vor wenigen Monaten ihr Fachabitur machen wollte, spricht leise, aber mit fester Stimme. „Er hat mir erzählt, dass er seine Schwester umbringen möchte“, sagt sie über ihren ehemaligen Freund, den 19-jährigen Ayhan Sürücü. Gemeinsam mit zwei seiner Brüder steht Ayhan seit vergangener Woche vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts. Die Anklage: Gemeinschaftlicher Mord an ihrer Schwester Hatun. Die 23-jährige Deutsch-Kurdin ist im Februar unweit ihrer Wohnung in Tempelhof auf offener Straße erschossen worden.

Was Ayhans Begründung gewesen sei, fragt der Richter Heinz Peter Pefka, der behutsam durch die Verhandlung führt. „Sie lebte nicht nach dem Islam“, antwortet Melek A. Als „Schlampe“ und „Hure“ habe Ayhan seine Schwester bezeichnet.

Die Zeugin belastet nicht nur ihren ehemaligen Freund, sondern auch seine beiden Brüder schwer. Damit widerspricht sie dem Geständnis, das Ayhan am ersten Prozesstag abgelegt hat. Darin hat er die ganze Schuld auf sich genommen, er will die Tat allein begangen haben. Ayhan gilt im juristischen Sinn noch als Heranwachsender, er kann nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden. Dann beträgt die Höchststrafe zehn Jahre.

Melek A. dagegen stützt die Position der Staatsanwaltschaft. Ayhan habe ihr erzählt, dass er sich vor der Tat mit Alpaslan und Mutlu, seinen beiden älteren Brüdern, getroffen und über die Tötung der Schwester gesprochen habe, sagt die Zeugin. Mutlu, mit 26 der älteste der Angeklagten, soll die Waffe besorgt und darauf gedrängt haben, endlich einen Termin für die Tat festzulegen. Auch habe Mutlu, „dort wo er immer hingeht“, gefragt, ob es Sünde sei, Hatun umzubringen. Das sei verneint worden. Damit kann eigentlich nur die Moschee in Wedding gemeint sein, die Mutlu besuchte. Nach Angaben von Experten soll sie einer Abspaltung der Vereinigung des ehemaligen Kalifen von Köln, Metin Kaplan, zuzuordnen sein. Nach der Tat, sagt Melek A. später, habe Mutlu sie gedrängt, bei der Polizei falsche Angaben zu machen.

Der 24-jährige Alpaslan soll mit Ayhan am Tatort gewesen sein. Anhand einer Zeitungsskizze, die den Tatort zeigte, habe Ayhan ihr genau beschrieben, wo sein Bruder Schmiere gestanden habe. Bei einer U-Bahn-Fahrt kurz nach der Tat, bei der sie selbst dabei war, habe Alpaslan auf die Leute im Abteil gezeigt und gesagt, wenn man sie töte, sei das keine Sünde, schließlich seien sie Ungläubige. Als Melek A. das sagt, geht ein Raunen durch den Zuschauerraum.

Sie selbst habe nicht geglaubt, dass Ayhan seine Ankündigungen wirklich ernst meine, sagt Melek A. „Man will das nicht wahrhaben, wenn man jemanden liebt.“ Danach habe sie Angst gehabt und bei der Polizei zunächst falsche Angaben gemacht. Erst nach einem Gespräch mit ihrer Mutter und der gemeinsamen Hausärztin habe sie sich zur Aussage entschlossen. Vorher habe sie mit niemandem über ihr Wissen gesprochen, sagt Melek A. „Ich war ganz allein.“ Die Ermittlungen gegen sie wegen Nichtanzeigen einer bevorstehenden Straftat hat die Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellt. Kommenden Montag wird Melek A. von den Verteidigern befragt. SABINE AM ORDE