Berliner Szenen: Im Fernbus
Die Sache ist
Es ist kurz nach zwei. Um drei soll der Bus nach München fahren. Der letzte Auftritt ist schon ein Jahr her. Ich habe keine Vorstellung von dem Workshop am Münchener AVL-Institut zum Thema Alltag, auf dem ich lesen soll. Kein Wunder, dass ich aufgeregt bin. Bis jetzt läuft alles gut: Ich habe den Fahrschein ausgedruckt, Brote geschmiert, Bücher, Zahnbürste und Laptop in den Rucksack gepackt. Ich gucke noch einmal auf den Fahrschein; der Bus ist schon um 13 Uhr losgefahren. Oje! Ich packe den Laptop wieder aus, gehe ins Internet, kaufe mir eine Karte für den 15-Uhr-Bus und renne dann los. Weil vor dem Fahrkartenautomaten Leute stehen, fahr ich schwarz.
Der Busfahrer sagt: „Ich bin Anthony.“ Im Bus sind viele Teenager. Manche spielen Uno oder Autoquartett mit Handy. „Mein Auto kostet 80 verkackte Millionen Euro“. Ich lese „Das Museum der Stille“ von Yoko Ogawa. Interessant wie die japanische Autorin verschiedene Themen aus einem anderen Roman variiert, den ich im Winter gelesen hatte. Schade, dass sich der Aufbau-Verlag für so ein kitschiges Cover entschieden hat. Die Klappentextzitate sind furchtbar: „‚Sinnlich und kurios wie Murakami. Wunderbar!‘ (Stern)“.
Hinter mir unterhalten sich die Teenager über Zeitreisen, Selbstmordsekten und Determination. „Es geht aber nicht, dass es vorbestimmt ist, dass jemand Terrorist ist“, sagt jemand. Die Frage wird erörtert, ob es spießig sei, nicht zu kiffen. Ziemlich oft sagen sie „die Sache ist“. Im Buch stolper ich über den Satz „Wer von einer schweren Krankheit oder Verletzung genesen ist, muss seine Kleidung bis zum nächsten Vollmond verkehrt herum tragen.“
In München regnet es. Schnell ist das Orientierungsblatt durchnässt und nicht mehr zu lesen. Ein Radfahrer stürzt in eine Pfütze und weiß auch nicht weiter. Detlef Kuhlbrodt
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