: „Alle müssen sich bewegen“
Ausgeschlossen ist lediglich die Zusammenarbeit mit der Linkspartei, sagt Ministerpräsident Kurt Beck
taz: Herr Beck, zwei Wahlverlierer, die das Kanzleramt beanspruchen, donnernde Absagen allerorten an realistische Koalitionsmöglichkeiten: Was bleibt noch – Einsatz der Kavallerie?
Kurt Beck: Es gilt, deutlich zu machen: Es gibt eine starke Partei in Deutschland, das ist die SPD. Bis Sonntagabend ist die Union als zwei Parteien aufgetreten. Da nehmen wir sie jetzt eben beim Wort.
Halten Sie das ernsthaft für einen ehrenwerten Versuch, die politische Arithmetik neu zu erfinden?
Die politische Arithmetik war eigentlich immer so, wie wir das jetzt feststellen. Ich kann immer weniger verstehen, warum wir etwas anderes so lange zugelassen haben. Wenn es um Fernsehzeit geht, um Parteispenden, um staatliche Alimentierung: Immer, wenn es ihr in den Kram passt, sagen CDU und CSU, sie seien zwei Parteien. Und wenn es ihr nicht mehr passt, dann wollen sie als eine Partei gesehen werden. Damit muss Schluss sein. Es gibt nur eine gesamtdeutsche Partei, die stark ist, und das ist die SPD.
Was ist am Sonntagabend eigentlich in Gerhard Schröder vorgegangen? Die Behauptung, er habe einen klaren Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, wirkte angesichts der SPD-Verluste doch etwas seltsam.
Verglichen mit den letzten Umfragen hat ja geradezu eine erdrutschartige Verschiebung zu unseren Gunsten stattgefunden. Ich lese das Wahlergebnis ganz klar: Die Leute sagen, Gerhard Schröder soll’s machen.
Aber die SPD ist schwächer als die Union.
Die SPD-Fraktion ist schwächer als die Unionsfraktion, wenn sich die beiden Parteien CDU und CSU zu einer Fraktion zusammenschließen. Aber die CSU stellt im Bundestag die wenigsten Abgeordneten, und die CDU ist schwächer als die SPD.
Viele glauben, dass es nach einigem Getöse und vielen Zahlenspielen am Ende doch auf eine große Koalition hinausläuft. Wenn es dahin kommen soll: wer muss sich bewegen?
Alle müssen sich bewegen. Man muss Schnittmengen für verschiedene Varianten herausfiltern, nicht nur für die große Koalition. Ausgeschlossen ist nur eine Zusammenarbeit mit der PDS-Linkspartei.
Auch die Optionen der Union sind ja eng begrenzt. Versucht die SPD, den Preis für eine große Koalition hochzutreiben?
Nein, darum geht es jetzt wirklich nicht. Die Wähler haben einer Politik, die allzu neoliberal wäre, eine klare Absage erteilt. Jetzt gilt: zuerst das Land, dann die Partei.
Wäre ein Wechsel an der Führungsspitze der Union aus Ihrer Sicht nicht schon mal ein schöner Anfang? Anders ausgedrückt: Könnte die SPD sich mit Friedrich Merz, Roland Koch oder Christian Wulff als Kanzler leichter anfreunden als mit Angela Merkel?
Ich hielte es für falsch, wenn wir die Hürden künstlich hochsetzen würden. Das muss der jeweilige Partner selber entscheiden.
Heißt das, die SPD wäre gegebenenfalls eben doch bereit, Angela Merkel zur Kanzlerin zu wählen?
Ich will da jetzt einfach nicht spekulieren. Ganz bewusst schließe ich zwischen Demokraten derzeit nichts aus. Eine Wahl von Angela Merkel durch die SPD halte ich weder für wahrscheinlich noch für unmöglich.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hat eine Ampelkoalition kategorisch ausgeschlossen. Glauben Sie, dass er bei seiner Haltung bleibt?
Ich hielte es zumindest nicht für gut, wenn er dabei bliebe. Es gibt eine Verpflichtung im Interesse unseres Landes zu gucken, welche Schnittmengen es gibt. Wenn ich mir betrachte, was die FDP gesagt hat, dann gibt es ja auch eine Reihe Punkte, die mit der Union nicht so gut gegangen wären.
Sie koalieren in Rheinland-Pfalz mit der FDP. Was hören Sie denn so aus den Reihen Ihres Koalitionspartners?
Ich würde einen Fehler machen, wenn ich mich dazu jetzt öffentlich äußerte.
Halten Sie für möglich, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Minderheitskabinett regieren wird?
Ich halte Stabilität für ein hohes Gut und deshalb diese Möglichkeit für sehr, sehr unwahrscheinlich.
Wenn in wenigen Monaten neu gewählt werden müsste: Wäre Deutschland dann auf dem Weg zu einer Staatskrise?
Sicher nicht. Aber es wäre alles andere als ein gutes Zeichen, denn es gilt jetzt, stabile Mehrheiten im Interesse unseres Landes zu bilden. Dieser Aufgabe darf sich ein Demokrat nicht entziehen. INTERVIEW: BETTINA GAUS