Grün pflanzt sich um

Die Grünen können nur bei einer Koalition mit Union und FDP zu sich selbst finden: In einem Verbund der Bürgerlichkeit, die „grün“ bisher habituell verkörperte – und der Hochnäsigkeit gegenüber dem Proletariat

VON JAN FEDDERSEN

„Down the way / where the night are gay“ (Multikulti-Sänger Harry Belafonte: „Jamaica Farewell“, 1956)

„Unter dem Pflaster / ja, da liegt der Strand / Komm reiß auch du / ein paar Steine aus dem Sand“ (Frauenband Schneewittchen, Grünen-nah: „Unter dem Pflaster liegt der Strand“, 1979)

Man müsse die Union davor bewahren, dass sie sich mit ihnen gemein mache, erkannte Michael Glos – und meinte die Grünen, jene Partei, die durch nachhaltiges Graswurzeln aus der SPD in zwei Jahrzehnten Koalitioniererei eine akzeptable linksliberale Partei gemacht hat, durch atmosphärisches Anderssein, programmatisch obendrein. Dies, so der Spitzenkader aus Bayerns Filiale der Schwarzen, müssten die Seinen verhindern: „Die Zecke kommt immer besser weg als das Wirtstier.“ Weiter sei es die „Schwierigkeit“, dass die „Zecke, um langfristig zu überleben, ein neues Wirtstier“ brauche. Und: „Ich bin dagegen, dass wir das Wirtstier spielen.“

Eine Frage der Emotionen

Nichts klingt so ältlich wie das Gewölk von gestern, und war es auch fundamental-verunglimpfend gemeint. Jamaica lautet das Kürzel, mit dem die Grünen gelockt werden – das ein Verbleiben an der Macht verheißt und sie den Schwarzen und Gelben „endlich“ (Westerwelle, Merkel, Stoiber) ermöglichen möge. Und weshalb sollten die Zecken nicht auf „ein neues Wirtstier“ setzen? Fragt man FDP-Spitzenpolitiker, so wollen sie sich nur ohne Namensnennung zu den Grünen verhalten: „Na ja, es sind wohl vor allem emotionale Differenzen, die uns von den Grünen trennen.“ Ins Lebenspraktische übersetzt: Sie würden, gierig und gern, wären die Grünen gewogen. Denn, in diesem Punkt Müntefering nah: Opposition ist niederschmetternd, weil einflusslos.

Aber können die Grünen wollen? Sie sollten wollen, sonst wären sie keine Grünen mehr. Erinnern wir uns: 1979 gründete sich die Partei, hervorgegangen aus bunten und alternativen wie lebensschützerischen und ökologischen Szenen. Petra Kelly gab den Ton an: „Wir sind die Anti-Parteien-Partei.“ Dass die Sozialdemokratischen als Alliierte ins Spiel kamen, war am Anfang undenkbar: Die „Dachlatten“, die Hessens Ministerpräsident Holger Börner Anfang der Achtziger wütend gegen die Ökos beschwor, waren noch die zartesten Waffen, die man gegen die Grünen zur Anwendung bringen wollte. Die Union schaute zu – und feixte sich einen.

Tatsächlich wäre eine Allianz mit den Schwarzen (und Gelben) der letzte Schritt der Grünen, um die Bundesrepublik zivilisatorisch auf den besten westlichen Stand zu bringen: Die Union wüsste nach ein paar Jahren mit den Grünen, was sie unter Freiheit versteht, wenn sie sie beschwört: Nicht nur die der Kapitalakkumulation, sondern auch der Lebensstile.

Das wäre die funktionale Variante einer so genannten Jamaica-Option, aus Sicht der Grünen. Die Inhaltliche ist aber viel gewichtiger: Die Grünen teilen mit Traditionsliberalen und Unionschristen mehr als mit allen Roten. Sie würden endlich in jener Bürgerlichkeit ankommen, die sie habituell bereits verkörpern. Es wäre eine Heimkehr im kulturellen Sinne: Sie bevorzugen Reggae statt Country; lieben das Trampen und nicht das Dasein auf Campingplätzen; schwören auf die Kultur und nicht auf Trash; legen sich für die Ästhetik von Arte ins Zeug und nie für jene auf RTL; sie favorisieren asiatisch angehauchtes Fingerfood und halten die Bockwurst für irgendwie viel zu doitsch; Weltmusik ist ihnen Sehnsucht, nicht die Sentimentalität der Volksmusik. Kurzum: Grünes und Sozialdemokratisches ist der gleiche Unterschied wie der zwischen Manufactum („Es gibt sie noch, die guten Dinge“) und Lidl („Wir machen die billigen Preise“). Beide fanden sich in einer gewissen Ikeahaftigkeit: „Wohnst du noch, oder lebst du schon?“ Das „unmögliche“ Möbelhaus ist kaum noch von Centern auf der unökologischen Wiese unterscheidbar: Da geht man doch gleich zum hippen Lebensstilkaufhaus mit dem Appeal von teuer & geschmackvoll.

Die Grünen sind in ihrem Elitismus, in ihrem Gründungsmanifest wie in einem eschatologischen Wunschkatalog nachlesbar, ja notorisch. Sie eint mit der FDP die polit-praktisch gewordene Hochnäsigkeit allen proletarischen Gründen gegenüber. Sie sind die Gymnasiasten der bürgerlichen Politszene seit Jahrzehnten – weil am coolsten. Ohne sie kein Zeitgeist, ohne ihre Initiativen, Debatten, Seufzer und Fingerschnippereien („Alarm!“, „Wir befürchten das Schlimmste!“) kein Fortschritt. Die Differenz ist die von Geschwistern, die die gleiche gute Wolle tragen – aber von unterschiedlichen Labels.

Man höre der Union und FDP nur genau zu: Das Bett ist aufgeschlagen, nun mögen sie auch springen. Bloß nicht so zimperlich. Union und Liberale böten nur Zumutungen? Na und? Waren Schily und Clement keine? Okay, aber was ist mit den Schnittmengen? Jede Menge. Beziehungsweise sind schon zu finden. Krasse Differenzen (AKWs, Homoehe, Bürgerrechte, Kündigungsschutz, Gesundheit)? Kaum. Besser: Die Ökos könnten sagen, sie würden das Schlimmste verhindern. Mehr noch: Mit ihnen könnte die Union ihre Ideen aus nationalkonservativen Rezeptstudios in keiner Koalitionsküche nachkochen. Dafür sorgen schon Künast und Trittin – beide akzeptabel, denn sie verkörpern die Fähigkeit zur Macht. Ein Talent, das die Union gern erkennt: Denn sie ist selbst voll solcher Begabungen.

Das ginge aber vom Personal nicht? So von wegen Christian Ströbele und Claudia Roth? Erstens sind heute Krista Sager und Hildegard Müller, was ihre performativen Oberflächen anbetrifft, nur mit Lupe differenzierbar. Sie können miteinander, weil sie es atmosphärisch könnten. Ströbele? Okay. Aber hat nicht auch die FDP allen illiberalen Allüren der Union zum Trotz immer ihre Hildegard Hamm-Brücher gehegt und gepflegt? Und die Claudia? Sie würde weinen, müsste sie ihrer Basis diese Koalition nahe bringen, das ist sicher. Und glaubwürdig. Aber Petra Kelly hat auch geweint, als ihr beim grünen Erstbezug des Bundestags 1983 aufging, dass Gremienpolitik nicht wie Wohngemeinschaft und Friedenscamp funktioniert. Sie wird immer noch in Ehren gehalten – wie bald auch die Claudia.

Adrienne Goehler, Urgrüne und Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds, sagt freilich, mit Unionsleuten sei eine gemeinsame Sprache nicht zu finden. Mag sein. Dann sucht man weiter, wahrhaftige Freischärler, die unter allen Pflastern den Strand suchen, werden dabei mitmachen: alles nur eine Frage des Vokabulars. Man erfindet neue – und lernt sie von Herzen auswendig.

In bed with Angela – viel Spaß

Allen Jamaica-ProtagonistInnen wäre doch ein Stein vom Herzen genommen, würden sie mit proletarischem Hautgout nicht mehr identifiziert werden können, selbst theoretisch nicht. Jürgen Peters, IG-Metall-Chef, sagte gestern im Deutschlandradio: „Es gibt eine Mehrheit links von der Mitte.“ Er irrt, aber nicht, weil er ein Gewerkschafter ist. Sondern weil die Grünen wie die FDP in der Mitte sind, weder rechts noch links – ganz so, wie ihre Urgesteine es einst wollten. Sie mögen aus ihrem Kapital der politischen Nutzbarkeit etwas machen. In bed with Angela – viel Vergnügen. Sie müssen, weil sie es können. Bourdieu lebt: die feinen Unterschiede übersehen, und die größeren zu den Roten als historisch nehmen.

Nach Hause zu kommen, zu den bürgerlichen Eltern, ist schwer. Die meinten es doch nicht so: „Wirtstiere“? War doch nur Wut – hinter der Liebe sich verbirgt. „Zecken“? Eltern können böse sein, mehr ist aus diesem Wort nicht zu lernen. Aber mann und frau war doch RebellIn! Ruhe bewahren: Was man von ihnen erwartet, ist kein Hände-schmutzig-Machen, sondern „ein Stück weit“ vom Kontinuum bürgerlicher Aufklärung. Man kriecht dafür ins einst verlassene Nest zurück. Das wird nicht immer gemütlich. Aber schön.

Die Sonnenblume lebt.