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Wie die Wilhelmsburger sich ihre ganz eigenen Regeln machenJenseits von Rauchverboten und Öffnungszeiten

Foto: privat

Inselstatus Leyla Yenirce

Liebe Insel, was macht dich eigentlich einzigartig? Es sind deine ganz eigenen Regeln. Wenn andernorts Rauchverbot herrscht, wird auf der Insel sogar in den Kiosken gequalmt. Selbst beim Computer-Reparaturservice, der zu 50 Prozent aus I-Phone-Hüllen in jeglichen Farben und Formen besteht und in dessen Hinterzimmer immer irgendwo noch ein Glücksspielautomat schlummert, steht ein Aschenbecher.

Du machst dir die Welt halt, wie sie dir gefällt und ich weiß, dass ich zu Hause bin ...

... wenn ein Techniker einen defekten Laptop repariert und daneben eine randvolle Kaffeetasse steht, die nur darauf wartet über die Tastatur geschüttet zu werden.

... wenn ich einen fünf Euro National-Sonderrabatt bekomme, weil ich kurdisch sprechen kann und der kurdisch sprechende Handy-Ladenbesitzer so gerührt ist, dass ich die Sprache spreche, die seine Familie nicht sprechen durfte.

... wenn der öffentliche Nahverkehr allmählich den Betrieb einstellt, die Straßen sich leeren und nur noch betrunkene Männer unterwegs sind und eigentlich alle Läden zu haben müssten, gibt es immer noch irgendwo einen Kiosk, der geöffnet ist. In Wilhelmsburg sind Öffnungszeiten nämlich variabel und werden von den Betreibenden täglich neu bestimmt.

... wenn der Bus M13 statt um den Kreisel an der Ecke Veringstraße/Fährstraße einfach drüber fährt, das Gesetz vom Bitte-vorne-Einsteigen konsequent missachtet wird und wenn bei einer Kontrolle der halbe Bus samt Schaffner*innen aussteigen muss.

... wenn das kleine bisschen öffentliche Grün neben dem Penny auf der Zeidlerstraße von den Bewohner*innen der Reihenhäuser für eine Gartenparty genutzt wird, die Musik noch bis spät abends läuft und sich niemand beschwert, auch wenn noch nicht Wochenende ist.

Hier auf der Insel macht man halt das Beste aus dem, was man hat. Das kann natürlich auch mal nerven, wenn jemand beispielsweise um 22 Uhr schlafen gehen muss, weil er oder sie doch zur Arbeit geht und einen normativen Alltag pflegt oder wenn der Computerladen-Besitzer die Reparatur des Laptops verkackt hat und das Gerät danach überhaupt nicht mehr hochfährt und du nicht weißt, ob es an der Ablenkung durch den Spielautomaten im Hinterzimmer lag oder vielleicht doch an der Kaffeetasse auf dem Tisch.

Wer aber von geöffneten Läden auch Dienstagnacht um zwei Uhr profitierten möchte und wer sich über den niedrigen Preis einer Handy-Reparatur, der auch mal am Tisch verhandelt werden kann, freut, die oder der muss sich auch damit abfinden, dass die Regeln hier eben ständig neu gemacht werden.

Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus Wilhelmsburg über Spießer, Linke, Gentrifizierer und den urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.

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