: Große Koalition ohne Schröder?
Planspiel 1: Union und Sozialdemokraten finden zusammen. Ihre zwei Kanzlerkandidaten bekommen einen Platz in den Geschichtsbüchern
VON JENS KÖNIG
Erhitzte Gemüter, Testosteronüberschuss beim Kanzler und prinzipieller Vertrauensverlust in die taktischen Aussagen von Politikern einmal ausgenommen – die wahrscheinlichste Auflösung der Berliner Blockade besteht immer noch in einer großen Koalition. Und zwar in einer ohne Schröder und ohne Merkel.
Unrealistisch? Weltfremd? Gemach, gemach. Eine Ampelkoalition hat FDP-Chef Guido Westerwelle gestern zum wiederholten Male ausgeschlossen, und zwar mit so drastischen Worten Richtung SPD, dass ein Zurück dahinter kaum vorstellbar scheint, und wenn, dann nur um den Preis von Westerwelles Sturz. Wahrscheinlichkeit: äußerst gering. Eine schwarz-gelb-grüne Koalition ist sowieso nur taktisches Spielmaterial der Union – und eine gedankliche Lockerungsübung für eine schwarz-grüne Annäherung, die irgendwann zur ersten CDU/Grünen-Koalition auf Länderebene (Baden-Württemberg im März 2006?) führen wird. Das sehen alle Beteiligten trotz ihrer Pokergesichter ziemlich klar. Und so wird in dieser Woche ein komplizierter Prozess in Gang gesetzt, in dem sich die beiden großen Parteien wohl oder übel werden annähern müssen.
Auf den zweiten Blick scheint das auch gar nicht so schwierig. Wichtige Protagonisten von Union und SPD kennen sich seit Jahren gut und haben bei verschiedenen Großprojekten zusammengearbeitet: Franz Müntefering und Edmund Stoiber (Föderalismuskommission), Otto Schily und Günter Beckstein (Zuwanderungsgesetz), Peer Steinbrück und Roland Koch (Subventionsabbau). Nicht zuletzt das belegt, dass in wichtigen politischen Feldern eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Volksparteien möglich sein wird: Außenpolitik (Ausnahme: Türkeipolitik), innere Sicherheit, Ausländerpolitik, Finanzpolitik. Natürlich gibt es auch programmatische Unterschiede: in der Sozialpolitik (Kopfpauschale vs. Bürgerversicherung), in der Arbeitsmarktpolitik (Kündigungsschutz), in der Forschungspolitik (Gentechnik). Aber das sind keine unüberwindbaren Hürden.
Das könnten die Verhandlungsführer Franz Müntefering und Angela Merkel schnell merken und sich in einem ersten Schritt auf ein inhaltliches Programm einigen. In einem zweiten Schritt sind Verhandlungen über Ministerien und deren Besetzungen möglich. Als dritter Schritt und Höhepunkt des Pokerspiels bleibt die Machtfrage an sich: Wer wird Kanzler, wer Vizekanzler, wer kriegt mehr Minister? Mit Gerhard Schröder und Angela Merkel dürfte da angesichts der Frontstellung der beiden nicht viel zu holen sein, das wissen alle anderen auf beiden Seiten.
In der SPD hat allerdings niemand die Autorität, Schröder zu verdrängen, auch nicht Müntefering, und das erst recht nicht nach dieser Bundestagswahl, die der bisherige Kanzler im Alleingang für die SPD gerettet hat. Nur Schröder selbst könnte das größte aller möglichen Opfer bringen: sich selbst. Er könnte dazu versucht sein, wenn auch die Union ein entsprechend großes Opfer bringt: ihre Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Wer den Dolch führt? Wer sie verdrängt? Stoiber, Koch oder Wulff? Schwer vorherzusagen.
Am Ende könnte eine Große Koalition auf Augenhöhe stehen, in der die Union, die dann den Kanzler stellt, ein Ministerium weniger beansprucht als die SPD. Schröder hätte zum dritten Mal seine Macht preisgegeben – auf dem Altar seiner Partei und der Republik. Das würde in den Geschichtsbüchern bleiben.