: Fehler is King
SCHNITTSTELLEN Drei Bremer Künstler wollen New York dekonstruieren. Interdisziplinär, multimedial, als offenes Kollektiv mit Mut zu Fehlern. Ein Werkstattbesuch
VON ANDREAS SCHNELL
Manchmal schlagen die aktuellen Witterungsverhältnisse nicht nur geografisch eine Schneise der Verwüstung. Auch Konzepte werden gelegentlich von ihnen unterlaufen. New York zum Beispiel wurde gerade erst schwer von „Sandy“ gebeutelt, etliche Menschen kamen, nicht nur in New York, dabei ums Leben, darunter, wie zu lesen war, auch der Onkel von Cyndi Lauper, was als Nachricht immerhin insofern positiv ist, dass wir nun wenigstens sicher sein können, dass Cyndi Lauper noch lebt. Und schon fegt mit „Athena“ der nächste Sturm durch die Stadt.
Mithin macht sich derzeit das Wetter gewissermaßen an die Dekonstruktion New Yorks. Ein Vorhaben, das Wolfgang Spelmans, Uwe Kirsch und Gunnar Ebert sich ebenfalls vorgenommen haben – natürlich auf ungleich ästhetischere und, pardon, harmlosere Weise.
Seit rund drei Jahren arbeiten die drei Künstler zusammen, interdisziplinär, multimedial. Als vor etwa einem Jahr der kalifornische Elektronik-Pionier Morton Subotnick im City 46 gastierte, kam den dreien die Idee, das Kino für ein neues Format zu nutzen. Karl-Heinz Schmid vom Kommunalkino war sofort begeistert, wie Spelmans berichtet.
Die erste Inspiration für „NYC deconstruct“ waren allerdings Fotos, die Gunnar Ebert aus New York mitgebracht hatte, mit dem I-Phone fotografiert, dank Software gleichsam frühreif mit Patina überzogen. „Lass uns was damit machen!“, war sich das Trio sofort einig.
Und auch wenn das Format neu ist, das heute Abend Premiere feiert: Die Arbeitsweise des Generic Art Ensemble, wie sich Spelmans, Ebert und Kirsch für ihre gemeinsamen Projekte nennen, ist es nicht völlig. Schon mehrere Projekte realisierten die Künstler in einer Arbeitsweise, die Zufall und Dilettantismus, Professionalität und lineare Programmierung immer wieder aufeinanderprallen lässt, um zu schauen, was dabei herauskommt. Die Weserburg, die GAK, das Wilhelm-Wagenfeld-Haus beherbergten das Ensemble schon. Aber ein Kino ist eben ein Kino – und kein Museum.
Was in zweierlei Sinn zu verstehen ist, nämlich im offensichtlichen, räumlichen, weshalb es einem performativen Ensemble ganz andere Möglichkeiten bietet. Zum Beispiel drei bis vier Stunden lang die Stadt New York zu erkunden, aus verschiedenen Blickwinkeln zu zeigen, sie solchermaßen auseinanderzunehmen, also dann doch zu dekonstruieren.
In einem anderen Sinn versteht das Generic Art Ensemble seine Intervention auch als eine in den konventionellen Kinobetrieb: Ein Kino, so erklärt Spelmans, müsse sich öffnen, um eine Zukunft zu haben, auch um damit der „magische Ort“ bleiben zu können, als den Uwe Kirsch es beschreibt. Es darf also nicht mehr nur der alte Kintopp sein, auch eine Art Museum.
So soll es dann auch nicht bei dem Abend über New York bleiben. Weitere Abends mit dem Generic Art Ensemble sind geplant, im nächsten Schritt gehe es um Berlin. Gunnar Ebert betont: „Wir müssen eine Beziehung zu dem Ort haben.“
Im Fall von New York ist das eine beinahe nahe liegende: New York ist schließlich nicht nur eine der brummendsten Metropolen der kapitalistischen Sphäre, sondern kulturell aus der Pop-Kultur nicht wegzudenken, nicht zuletzt auch aus deren fortschrittlicherem Teil. Warhol. Velvet Underground. Nico. Punk und die Folgen. Und auch wenn sich eigentlich kein brotloser Künstler mehr leisten kann, dort zu leben, bringt diese Stadt als eine Art Teilchenbeschleuniger immer wieder große Kunst hervor. Dieses „andere“ New York ist es, wofür sich das Generic Art Ensemble interessiert. Unter anderem.
Den Satz „Das sind Dinge, die uns interessieren“ gibt es von Wolfgang Spelmans nämlich relativ oft zu hören, wenn er über die gemeinsame Arbeit spricht. Und immerhin einmal auch den Satz: „Uns interessiert das nicht so.“ Da geht es um die Synchronisation verschiedener Spuren, Ebenen, Disziplinen. Wie schon angedeutet, macht sich das Ensemble den Zufall zunutze. Vor Gunnar Eberts Fotografien, die in zufälliger Reihenfolge über die Leinwand laufen, liegt eine typografische Ebene, ein eingescannter Text, dessen Bestandteile per Zufallsgenerator gewichtet wurden und entsprechend groß oder klein zu sehen sind. Zum Beispiel. Dazu ist eine Musik zu hören, die, teils live eingespielt, in Tempo und Farbe keineswegs notwendig auf die Bilder abgestimmt oder gar programmiert wäre. Und irgendwie passt es dann – oder auch eben nicht. „Wir scheuen nicht vor Fehlern zurück“, erklärt Gunnar Ebert unter sichtlicher Zustimmung seiner Kollegen.
Und, so möchte man ergänzen, ein New-York-Bild, das ohne Brüche, ohne Widersprüche und starke Kontraste auskommt, wäre im Grunde keins. So dass auch die weiteren Facetten, die das Ensemble seiner Dekonstruktion des „Big Apple“ hinzufügt, die Sache nur noch präziser machen dürften: Christophe Fricker liest da beispielsweise Texte aus und über New York, eine Cellistin sorgt für analoge Klangfarben, ein Gast soll live aus New York per Livestream zugeschaltet werden, im weiteren Verlauf des Abends wird es historische Filme über New York aus den Jahren 1905 bis 1975 zu sehen geben.
■ Samstag, 20 Uhr, City 46