piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wir sind keine Heuschrecken“

SOLIDARGEMEINSCHAFT Viele große Hamburger Genossenschaften kooperieren angesichts des prekären Wohnungsmarktes mit kleinen Wohngruppen. Darunter sind auch Behinderten- und Dementenprojekte

Für Wohngruppen ist eine Genossenschaft meist die einzige Chance, ihr Projekt umzusetzen

VON AMADEUS ULRICH

Auf einmal ist es still. Es ist etwa so, als träte man in ein Refugium; eben war noch der Lärm der Autos zu hören, doch hier dürfen sie nicht hin. Hier, das ist eine Wohnsiedlung am Eisenwerk in Barmbek, einem Stadtteil in Hamburg, in dem mehrere Genossenschaften Gebäude gebaut und Wohngruppen mit eingeschlossen haben – initiiert von der Genossenschaft Wohnwarft. Mehrere Wohnhäuser stehen eng aneinander, allerorten sprießt Grün, ein Fluss fließt weiter hinten und dient als Grenze.

In einem der Gebäude wohnen im Erdgeschoss 20 geistig und körperlich behinderte Menschen. Sie können hier problemlos mit Rollstühlen umherfahren, draußen sitzen, ohne auf herannahende Autos achten zu müssen. Dieses Haus gehört der Fluwog-Nordmark, einer mittelgroßen Genossenschaft in Hamburg, die mehrere Gebäude betreibt und mit vielen Baugemeinschaften zusammenarbeitet. Sie nimmt unter anderem auch Wohngruppen unter ihr Dach – wie zum Beispiel Behinderte des Vereins „Leben mit Behinderung“ hier in Barmbek oder an Demenz erkrankte Menschen auf dem Bärenhof in Langenhorn.

Die Fluwog war die erste Genossenschaft in Hamburg, die eine solche Dementen-WG eröffnet hat. Sie tat das in Kooperation mit der Martha-Stiftung. „Wir probieren im kleinen Rahmen gern neue Dinge aus und kooperieren mit Stiftungen und Baugemeinschaften“, sagt Jörg-Michael Meß, Handlungsbevollmächtigter der Fluwog-Nordmark. Und diese Kooperationen führten dazu, dass man Segmente und Dienstleistungen als Genossenschaft bieten könne, die sonst nicht möglich wären. „Dafür haben wir nicht das Know-how, wir ergänzen uns gegenseitig.“

Das Besondere an der autofreien Wohnsiedlung in Hamburg-Barmbek ist, dass die Baugemeinschaften, die unter das Dach der hiesigen Genossenschaften geschlüpft sind, ein hohes Maß an Mitspracherecht haben. Sie verwalten die Warteliste, sagen, was sie haben möchten und können ihre Interessen vertreten.

Das hängt unter anderem mit der genossenschaftlichen Philosophie beziehungsweise der Grundüberzeugung zusammen. „Wir sind keine Heuschrecken. Wir investieren nichts, sondern wir sind eine demokratische Organisation“, sagt Meß. „Das Mitglied hat bei uns unmittelbaren Einfluss. Uns geht es nicht um Gewinnmaximierung, sondern um die Gemeinschaft.“ Und, funktioniert es denn? „Ja, bis jetzt.“

Denn die Wohnsituation in Deutschland und besonders in Hamburg macht es Genossenschaften heutzutage nicht leicht, an Bauflächen zu kommen, um Projekte wie dieses umzusetzen. Und wenn es gelingt, dann nur zu einem hohen Preis, was dazu führt, dass man eigentlich die Mieten erhöhen müsste.

Damit das vermieden wird, müssen sich die Mieter notgedrungen mit kleinen Wohngruppen zusammenschließen. „Wir verändern uns zwangsläufig. Wir werden moderner, weil das der Markt verlangt“, sagt Meß. Zwar gebe es auch kleine Baugemeinschaften, die ihre Ziele allein umsetzten. „Aber viele möchten natürlich mit einem stabilen, finanzkräftigen Partner zusammenarbeiten. Und das sind meistens Genossenschaften.“ Denn wer auf dem Hamburger Immobilienmarkt wenig Eigenkapital hat, geht angesichts der vielen privaten Investoren mit den prallen Geldbeuteln leer aus.

Daran seien besonders die Hamburger Politik und die Behörden schuld, sagt Reiner Schendel, Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg. Anstatt zukunftsträchtige Projekte einer Genossenschaft mit einer Wohngruppe zu unterstützen, verkaufe die Stadt das Grundstück lieber an den Höchstbietenden. Und das sei meist ein Investor.

„Der größte Engpass für Genossenschaften ist die Grundstücksvergabe“, sagt Schendel. Dabei könne die Stadt dies eigentlich besser steuern. Dann müsse sie sich allerdings auf Kompensationsprojekte einlassen. „Die Stadt könnte das Grundstück einer Genossenschaft etwas billiger geben, dafür aber sicher sein, dass hier 30 Jahre gebaut wird. Das wäre beständig. Aber so denkt die Politik nicht.“

Die Tatsache, dass viele große Genossenschaften kleine Wohngruppen bei sich aufnehmen, habe viele Vorteile, meint Schendel. Daher sei dies eine gute Alternative. Denn für Wohngruppen sei eine Genossenschaft angesichts des finanziellen Aufwandes meist die einzige Chance, ihr Projekt umzusetzen. Problematisch werde es jedoch dann, wenn die Wohngruppe danach zu wenig Autonomie bekomme, um eigene Vorstellungen umzusetzen.

Generell sei das genossenschaftliche Modell jedoch eine „wunderbare Form“ und müsse stärker gefördert werden. Denn der derzeitige Wohnungshandel sei gesellschaftlich kaum tragbar, sagt Schendel.