SHEILA MYSOREKAR POLITIK VON UNTEN
: Glocken und der Muezzin

Wenn sich Gläubige streiten, freut sich die Presse. Dabei täte ihr Differenzierung ganz gut. Egal, ob beim Christentum oder Islam

Beruflich komme ich viel rum. Ein bisschen zu viel, wenn man den Kindern und der überquellenden Wäschetonne glauben will. Ich arbeite oft in Gegenden, die – na ja – problematisch sind, zum Beispiel Beirut, Kairo, Tripolis. Oder: Bomben, Krawall, Terroristen, in der Übersetzung von Bild. Sobald ich Familie und Freunden neue Aufträge nebst Reisezielen mitteile, heißt es sofort: „Muss das sein? Das ist doch gefährlich!“ Der Mann meines Herzens ist inzwischen daran gewöhnt, als Kontaktperson auf Notfalllisten des Auswärtigen Amtes zu stehen.

Natürlich gibt es Orte, die ruhiger sind als Ramallah, beispielsweise Rothenburg. Aber wenn man Pech hat, begegnet man ebendort einem Kannibalen. Passieren kann überall etwas. In Japan wird man von einem Tsunami weggespült. Und in New York fallen den Menschen einstürzende Neubauten auf den Kopf.

Aber das alles scheint nicht so gefährlich zu sein wie jede beliebige Kneipenschlägerei im Nahen Osten. In der Presse wird die arabische Welt als ein einheitlicher Ort betrachtet. Egal, in welchem Land etwas passiert, die ganze Region gilt sofort als gefährlich – noch gefährlicher als sowieso schon.

Als in München 1980 auf dem Oktoberfest eine Bombe explodierte, hätten sich die Deutschen empört dagegen verwahrt, dass ganz Deutschland deswegen als „gefährlicher Ort“ bezeichnet würde. So etwas ist bezüglich der arabischen Welt aber gang und gäbe.

Differenzierung täte der deutschen Presse gut – auch bei Religionen. Wenn in der arabischen Welt Muslime miteinander kämpfen, dann ist das nicht die Schuld des Islams. Die meisten Religionen, darunter auch das Christentum und der Islam, predigen den Frieden. Das heißt nicht, dass ihre Anhänger entsprechend leben – aber das kann man nicht der Religion in die Schuhe schieben. Ein Spiegel-Titel vor einiger Zeit lautete: „Wie gefährlich ist der Islam?“ Während des Nordirland-Konfliktes, als Katholiken und Protestanten sich gegenseitig abschlachteten, wäre niemand auf die Idee gekommen zu titeln: „Wie gefährlich ist das Christentum?“ Wir sollten nicht in die Falle tappen, eine Religion mit den Fanatischsten unter ihren Gläubigen gleichzusetzen. Die Massaker, die die christliche Falange im Libanon angerichtet hat, lastet keiner dem Christentum an.

Als Atheistin sind mir Religionen herzlich wurscht. Von mir aus kann jeder Mensch zu jedem Gott beten, wie er will, ob in Kirche, Moschee oder Tempel. Mich nervt beides gleichermaßen: Kirchenglocken frühmorgens und Muezzinrufe spät nachts. Trotzdem, Religionen sollten in Freiheit ausgeübt werden.

Aber wenn sich Menschen in ihrem Namen gegenseitig angreifen, sollte zumindest die Presse objektiv darüber berichten, egal, um welche Religion es sich handelt – auch über den Islam. Damit ich endlich in Ruhe im Nahen Osten arbeiten kann. Ohne Splitterschutzweste und ohne Blutdrucktabletten für meine Mutter.

Die Autorin ist Journalistin und in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Foto: F. Bagdu