: Unsubscribe! Delete! Und: Please do not reply!
QUAL Die ungebetene Reklame im Mailpostfach soll aufhören. Aber wie? Ein Selbstversuch
■ Erhalten: Anders als bei Reklame im Briefkasten ist E-Mail-Werbung ohne vorherige Einwilligung des Empfängers verboten. Wer unaufgeforderte Werbung – Spam – verschickt, kann abgemahnt werden. Laut Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb darf der Absender zudem seine Identität nicht verschleiern und muss eine Möglichkeit bieten, wie der Empfänger die Mails abbestellen kann.
■ Beschwerden: Über die internet-beschwerdestelle.de des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft kann man Beschwerden wegen unverlangt erhaltener E-Mails einreichen.
VON JAN FEDDERSEN
Soeben wurde mir mein Postfach zugestopft. Elektronisch. „Pling“ machte es, eine neue Mitteilung. Das Betreff: „Mobiles Internet teilen – statt blechen / Meine Flat ist Deine Flat“.
Ohne sich wehren zu können, wird man zugemüllt. Sollen doch andere die eventuell gute Botschaft von neuen Flatrates bekommen. Ich nicht mehr!
So drückte ich auf die Antworttaste. Schrieb: „Bitte keine Post mehr“. Der Rest ist Hoffnung. Wahrscheinlich ist nämlich, dass mein Wunsch ignoriert wird, nicht mehr aufmerksamkeitsökonomisch aufs Kreuz gelegt zu werden, als verwickle mich jemand am helllichten Tag irgendwo auf einem Fußweg ins ungewollte Gespräch. Meine Bitte landet wahrscheinlich im Mailnirwana des Absenders, auf der elektronischen Sondermülldeponie namens Spam.
So sitze ich an meinem Computer und entdecke schon wieder eine Mitteilung. Eine von einer Hotel-Kette. Hilton. Wirbt mit Spezialnächten. Ich ärgere mich, suche nach einem Link, um diese Reklame für jetzt und immer abzuweisen. Finde ihn nicht, finde ihn doch. Ah … ganz unten. „Wenn Sie keine Mails mehr haben möchten …“ Ich klicke an und lande auf einer Website, auf der ich mich nur an-, doch nicht abmelden kann. „Neiiiin!“
Ich wundere mich selbst über meinen Furor. Und das kam so. Neulich nach einer fünftägigen Abwesenheit. Kein Mailpostfach durchgeguckt. Alles richtig gemacht, hieß das. Sprechen nicht alle in unseren aufgeklärten, Reklame verabscheuenden Kreisen von Entschleunigung? Sich mal zurückzuziehen aus aller Welt sollte eben bedeuten: auch aus der elektronischen.
Gut, dass es diese Reise gab. Ins Ausland. Mails zu laden – kostet dort sowieso ein Vermögen. Jeder, der schon mal mit einem neuen Smartphone an der portugiesischen Atlantikküste völlig verknallt in die neue Technik Wetterberichte oder Sportmeldungen abrief, weiß, dass der Urlaub der teuerste aller Zeiten war. Es muss auch mal ohne gehen! Ohne elektronisch angerempelt, geschubst, animiert, verschanghait zu werden. Also kein Blick, ob dieser oder jene sich gemeldet hat. Es sollte sein wie früher.
Aber wann ist früher gewesen? Das war eine Zeit mit Wählscheibentelefon und ohne Anrufbeantworter. Wer nicht ranging, wurde, wenn es wirklich dringend war, wieder angerufen.
Und jetzt: 283 Mails im Postfach. Im Spamordner weitere 21, von denen, wie sich herausstellte, zwei nicht in das automatische Müllfach gehörten. 283! Hätte man diese Anzahl von Briefen früher bewältigen können? Wäre es je zu dieser Flut an papiernen Mitteilungen gekommen? Schätzungsweise nein.
Das musste aufgeräumt werden, das durfte nicht wieder vorkommen: zurück aus den Ferien und das Mailfach wie eine Offenbarung an Erstickendem zur Kenntnis nehmen zu müssen.
Musste ich das aber wirklich? Sind nicht Briefkästen, auf denen „Bitte keine Reklame!“ steht, spießig? Beziehungsweise nicht die Briefkästen, sondern die Menschen hinter ihnen? Männer und Frauen, stellte ich mir vor, immer leicht mokant ob der Zumutungen einer Welt außerhalb ihrer Wohnungen, pseudopolitisch gesinnt, weil sie Werbliches aus Prinzip schon für Missbrauch und Verderbnis halten? Und man selbst, der immer auch mitdenkt, dass jene, die besonders grell solche Schildchen auf ihren Postkästen kleben haben, nichts einzuwenden haben, wenn sie mit Werblichem aus Häusern mit Ökoimage behelligt werden? Außerdem soll man doch, bitte, an all die jungen Menschen denken, meist Jungen, manchmal Mädchen, die sich mit dem Austragen ein bisschen Geld verdienen – die taschengeldmäßig sozusagen unabhängig werden wollen?
Ist es mithin nur eine Grille, dass ich keine ungebetenen Mails mehr möchte? Wünsche ich nur noch Post von Amnesty, Buchverlagen, politischen Stiftungen und anderem nichtkommerziellem Zeug, aber eben keine Schuh-, Klamotten-, Mobiltelefon-, Fluglinien- oder Hotelkettenpost mehr? Bin ich deshalb schon ein Teil der schlimmsten Menschensorte, die man sich in unseren aufgeklärten, linksökologischen, alternativen Kreisen vorstellen kann, von Nazis natürlich abgesehen: ein Spießer?
Schluss mit der Selbstbezichtigung. Wieso ist es so schwer zu begreifen von der Hilton-Hotelkette, dass ich von denen nichts mehr möchte – und wenn doch, würde ich mich melden. Auch nicht von der Fluglinie mit ihren wahnsinnig günstigen Tarifen für Transporte zwischen Island und Bangladesch? Auch bitte keine Mails mehr zu einem Krankenkassenwechsel, ich bin mit meiner gesetzlichen zufrieden. Oder war es die Weihnachtssonderaktion einer Outletkette, die mir 10 Euro Onlinegutschrift versprach, wenn ich einen Pullover oder eine Hose … Aus!
Es ist, ich darf es verraten, mühselig, allen zu antworten, von denen man nichts mehr hören will. Es kostet einige Zeit, um nicht zu sagen – ganze Abende. Aber man darf sich nicht kirre machen lassen. Es ist ja keine Freundschaft, die man aufkündigt – man stellt nur die Distanz her zu einem nicht selbstgewählten Verhältnis, etwa dem zu einer elektronischen Klette.
Kürzlich war ich wieder fünf Tage weg – ohne Blick in den Mailkasten. Ließ sich gut aushalten. Und was war die Ernte? Nur noch 75 Mails mussten bewältigt werden, davon vier Fünftel von Freunden, Familie, Mann. Jetzt könnte ich die restlichen vierzehn Belästiger verfolgen, unerbittlich. Aber das wäre dann doch – zu steril. Mein Dschungel an greller Postpest ist gelichtet. Nimmt sich das jetzt aus wie ein steiniger Acker zum bejäteten Beet?, fragte eine Kollegin. Ich konnte nicht antworten, ich war abgelenkt, vom sanften „Pling“. Aus dem Computer. Reklame? Oh, Unkraut!