In den Straßen Bier zu trinken und zu feiern ist politisch, denn bei den Protesten geht es um die Rückeroberung des öffentlichen Raums: Wer keinen Bock auf Hölle hat, soll tanzen gehen
Leyla Yenirce arbeitet als Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Künstlerin in Hamburg.
G-Nervt
von Leyla Yenirce
Ich hatte anfänglich meine Vorbehalte gegen hedonistischen Protest, weil ich nicht überzeugt davon war, dass Spaßhaben eine effektive Methode gegen Repression und Machtausübung darstellt. Diese Spaßhaberei habe ich eher belächelt und empfand sie als Privileg derer, die sich um nichts anderes kümmern als um ihr eigenes Vergnügen, während andere sich erst gar nicht vergnügen können, auch wenn sie es wollten.
Nun haben viele meiner Hamburger Bekannten keinen Bock auf den Ärger und die Hölle, mit der sich die gestrige Welcome-to-Hell-Demo angekündigt hatte, und sind deshalb auch nicht hingegangen. Dafür aber besuchten und engagierten sie sich bei zahlreichen alternativen Formen des Protests wie dem Demo-Rave am Mittwochabend oder beim kollektiven Abhängen auf der Straße, das mittlerweile unter dem neuen Trendverb cornern bekannt ist. Trotzdem bleibt für mich die Frage: Bewirkt das Tanzen und Trinken wirklich etwas?
Mittlerweile denke ich: ja. Denn auch wem das Argument, Tanzen sei per se schon politisch, nicht genügt, der muss einsehen, dass es bei den G20-Protesten vor allem um eine Sache geht: um die Rückeroberung des öffentlichen Raums und unseres schönen Lebens darin. Raum wird uns während des Gipfels nämlich rigoros genommen, und wir Hamburger*innen werden diesbezüglich noch rigoroser verarscht. Bestes Beispiel hierfür ist der Alte Elbtunnel, der zufälligerweise vom 6. bis zum 9. Juli gesperrt ist, offiziell wegen Instandsetzung. Ja, ja, Bauarbeiten, dass ich nicht lache.
Die Radwege werden länger, der Weg zur Arbeit oder wohin auch immer wird anstrengender. Wir Bürger*innen werden dazu gedrängt, zu Hause zu bleiben, in unseren kleinen Wohnungen, für die wir viel zu viel Miete zahlen. Das Stadtzentrum wird währenddessen als Schlachtfeld inszeniert, bereit für den Krieg derjenigen, die sich noch in das bewaffnete Territorium wagen. Wir sollen dann den Raum den Space Invaders überlassen, die in großen Alienautos, die aussehen, als seien sie aus blauen Legosteinen gebaut – ich spreche von Wasserwerfern –, den urbanen Raum penetrieren.
Wer also nicht kollektiv gegen den Gipfel marschiert, sondern tanzt oder auf Treppen rumhängt, tut auch etwas. Und wenn es nur ist, sich den öffentlich Raum anzueignen, der uns durch übermäßige Polizeipräsenz genommen wird. Aber nicht nur Raum, auch der Spaß darin wird zum Objekt der Aneignung. Die Schanze ist ja eigentlich Ausgehviertel, ebenso wie der Hotspot Karoviertel, in dem Menschen am Wochenende trinken und tanzen – außer an diesem Freitag und Samstag, wenn die Läden entweder leer sind oder mit Brettern behangen. Deswegen sollten wir gerade jetzt nicht in unseren Wohnungen bleiben, sondern rausgehen. Ob laufend oder mit einem Bootyshake gegen den Gipfel.
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