Soll man Läden boykottieren, weil die Inhaber für das falsche stehen?
: Der Döner ist politisch

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Inselstatus Leyla Yenirce

Liebe Insel, schon wieder bin ich ein wenig ratlos. Wo esse ich jetzt meinen Döner? Als ich mich neulich mit einem Freund über die Dönerläden im Viertel unterhielt, kam als Thema die politische und religiöse Haltung der Betreiber auf. Es fielen Sätze wie: „Angeblich sollen zwei Verwandte der Besitzer mit dem IS sympathisieren.“ Puhhh. Gar nicht cool.

Es gibt dafür keine Beweise, aber es gab ja die Nacht des türkischen Referendums und viele rot-weiße Flaggen, die an diesem Abend das Viertel zum Alptraum machten. Ja, ich weiß, dass deine politischen Lager divers sind, die Menschen, die hier leben, sind es ja auch.

Aber wie gehe ich mit so einer Aussage um, wenn ich aufgrund meiner Herkunft Betroffene der Gewalt des IS bin? Boykottiere ich diese Läden, weil ich weiß, dass ihre Leute die Existenz meiner Leute gefährden?

Bin ich lieber still, weil ich Angst habe, dass mein Handeln so gedreht und gewendet wird, dass am Ende allgemeine Schlussfolgerungen über die Menschen im Viertel gezogen werden, die nur dazu dienen, Islamophobie zu schüren – im Sinne von: Ja, alle Kanak*innen sind Terrorist*innen? Obwohl wir beide wissen, dass es nicht stimmt? Weil nicht alle Kanak*innen Muslime sind und nicht alle Muslime Terroristen. Genau so wenig, wie alle weißen Menschen Christ*innen und nicht alle Christ*innen friedlich sind?

Und vor allem: Bringt der Boykott Frieden oder polarisiert er nur noch mehr zwischen den Lagern? Wenn ich anfange, Kontakt zu Menschen zu vermeiden, weil ich weiß, dass sie Faschistisches im Kopf haben, – wird es uns dann nicht noch weiter auseinandertreiben, weil es nie eine Möglichkeit gibt, Zwischenmenschlichkeit und Respekt zu erfahren, die die bösen Absichten vielleicht zurückdrängen?

Oder funktioniert es ganz gut, weil in einer großen Stadt viele Menschen leben und genügend Dönerläden für alle politischen Lager vorhanden sind. Also: Brauchen wir diese Erfahrung des Miteinanders überhaupt?

Die Frage nach den Imbissen in der Nachbarschaft ist ein infrastruktureller Faktor, den es nicht zu unterschätzen gilt, vor allem nach einem Arbeitstag oder einer lang durchfeierten Nacht. Für die schnelle Mahlzeit unter fünf Euro kommt hier immer noch nur eins infrage: Döner. Schließt ein Laden, macht ein neuer auf.

Während Afyet Kebab nach kurzer Zeit das Handtuch schmiss, übernahm Dönerpoint am selben Standort mit neuem Konzept: Neben Fleisch im Brot gibt es auch Salat und vegan. Sind das nicht Fragen, mit denen ich mich beschäftigen sollte? Wo schmeckt der Döner mir am besten und wo gibt es vegetarische Alternativen, weil ich nur selten Fleisch esse?

Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus Wilhelmsburg über Spießer, Linke, Gentrifizierer und den urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.