Randale im Ornament

OFFENE ZEICHENLANDSCHAFT „Taswir – islamische Bildwelten und Moderne“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin folgt einer kosmopolitischen Utopie

Sandstaub hing in der Luft, als „Taswir – islamische Bildwelten und Moderne“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin eröffnet wurde. Unablässig schippte Taysir Batniji Sand von einer auf die andere Seite, bis er vor Erschöpfung aufgab. Eine simple Handlung, die für den palästinensischen Künstler Konzepte der Erinnerung und der Auslöschung sowie des Abreißens und des Wiederaufbauens evoziert. Seine Performance „Impossible Journey“ betitelt zugleich den letzten Raum von „Taswir“, einer Ausstellung, die durch Bezüge zwischen alter und zeitgenössischer, östlicher und westlicher Kunst mit 250 Werken in 18 Themenräumen eine bewusst fragmentarische Sicht auf islamisch geprägte Bildwelten entwirft.

Auch im ersten Raum ist Staub vorhanden. Als golden leuchtende Blütenstaubhäubchen liegt er in einer weißen Nische aus, umgeben von wertvollen Manuskripten des heiligen Korans, darunter der weltberühmte Purpurkoran aus der Pariser Bibliothèque national und der Goldkoran aus der Staatsbibliothek in München. Wolfgang Laibs Haselnussstaubinszenierung rührt mit einer beeindruckenden Schlichtheit, die subtil in eine meditative Wechselbeziehung mit der kosmischen Dimension des Korans tritt.

Ein paar Räume weiter hängen 50 Kautschukschaukeln über sandigem Grund, deren Sitze Buthayna Ali mit arabischen Schriftzeichen bemalt hat. Angestrahlt im schummrigen Schaukelmeer, ziehen die weißen Lettern den Blick auf sich. Sie changieren zwischen Poesie und Bewegung und erwecken ein spielerisches Hin und Her zwischen inhaltlichen, visuellen und performativen Schriftdimensionen. Die schwebenden Buchstabenschaukeln leiten ein, was im Folgenden verdichtet wird. Kalligrafische Skizzenbücher und poetische Blätter persischer und osmanischer Herkunft aus dem 16. bis 19. Jahrhundert verweisen auf die visuelle Eigenständigkeit der Schrift, andere Arbeiten postulieren gar die absolute Offenheit des Textes.

Im Extremfall wird daraus ein verborgenes Agieren, wie in Song Dongs „Writing Diary with Water“. Auf Steinplatten breitet sich sein unsichtbares, nie festgeschriebenes Tagebuch aus. „Damit sich die Schrift in ihrer Wahrheit offenbart […], muss sie unlesbar sein“, proklamierte der Philosoph Roland Barthes das utopische Potenzial einer offenen Zeichenlandschaft, die keinem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang verpflichtet ist und sich unendlich überschreibt. Solch ein freier Text kann als emanzipatorischer Protest taugen, als ein widerständiger Akt gegen politische Gewalt.

Zuschreibungen aufbrechen

Die ästhetische Utopie der Offenheit kann aber auch zu Beliebigkeit führen. Diesem Verdacht setzt sich das Konzept von Taswir aus, er bestätigt sich aber nicht. Denn zu feinfühlig ausgetüftelt sind die von den Kuratoren A. S. Bruckstein Çoruh und Hendrik Budde gewählten Konstellationen der zueinander gruppierten Werke. Mit Hilfe von Zitaten stellen sie Verknüpfungen her und brechen zugleich mit eindeutigen Zuschreibungen von Identität, Herkunft und kollektiver Zugehörigkeit. Bewusst in Anlehnung an das Bildatlas-Projekt „Mnemosyne“ des Kunsthistorikers Aby Warburg konzipiert, gestalten sie einen alternativen Atlas, der arabische, persische, osmanische und andere Momente einer außereuropäischer Moderne zeigt. Radikal in ihrer kosmopolitischen Ausrichtung, entwerfen sie ein lebendiges Kaleidoskop visueller und auch akustischer Bezüge künstlerischer Ausdrucksformen entlang der klassischen Themenfelder: Kalligrafie, Ornament und Miniatur.

Dabei fällt auf, dass neben der Ästhetik und Poetik immer wieder dunkle und politische Untertöne die kontemplative Grundstimmung aufbrechen. So setzt sich „Just a Minute“ von Parastou Forouhar mit der doppeldeutigen Schönheit des Ornaments auseinander. Ihre Computeranimation spielt auf den totalitären Charakter der absoluten Symmetrie an. Figuren durchbrechen den Rhythmus des Ornaments und lassen eine grafisch schematisierte Folterszene erkennen. Trotzig unterläuft auch Susan Hefunas Skulptur „Ana“ die Ordnung der ornamentalen Gestaltung. Inmitten ihres perfekt symmetrischen Mashrabiya-Gitters setzt sie in Form des arabischen Wortes „Ich!“ eine individuelle Abweichung in den Kosmos der reinen Geometrie.

JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

■ „Taswir“. Bis 18. 1. 2010 im Martin-Gropius-Bau Berlin, Katalog, ca. 248 Seiten, Nicolai Verlag Berlin, 19 €