: THEATER
TheaterEsther Slevogtbetrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen
Die geschilderte Szene ist ebenso absurd wie erhellend. Eine muslimische Einwanderin kommt an einen FKK-Strand und in wilder Assimilationsentschlossenheit entledigt sie sich ihrer Garderobe, um sich von den alteingesessenen Nackten nicht mehr zu unterscheiden. Da taucht eine Gruppe muslimischer junger Männer zwischen den Dünen der Ostsee auf und die Frau gerät in einen Konflikt nicht nur der (kulturellen) Blicke. Denn sie weiß, die jungen Männer verachten sie. Sie aber möchte dennoch zu den anderen, zu den Nackten gehören. Oder vielleicht nicht? Geschildert hat diese Szene die 2014 aus dem Iran eingewanderte Dramatikerin Afsane Ehsandar bei der Eröffnung der Autorentheatertage im Deutschen Theater, und sie stammt aus Ehsandars Stück „Welches Jahr haben wir gerade?“, das am 23. Juni in der Langen Nacht der Autoren uraufgeführt wird (die in diesem Jahr eine Lange Nacht der Autorinnen ist). Die Stücke der anderen Uraufführungen um das Thema Fremdheit stammen von der israelischen Dramatikerin Sivan Ben Yishai: „Your Very Own Crisis. Ein übersetztes Klagelied mit furchtbarem Akzent“ und von der in Wiesbaden geborenen Yade Yasemin Önder „Kartonage“. Die Lange nach der Autorinnen ist in jedem Jahr Kern und Höhepunkt der Autorentheatertage, einem Theaterfestival, das sich der zeitgenössischen Dramatik verschrieben hat (DT: „Lange Nacht der Autoren, 23. & 24. 6., alle Infos: www.deutschestheater.de).
In diesem August, übrigens, ist die Berliner Mauer schon wieder genau so lange weg, wie sie überhaupt stand: 28 Jahre nämlich. Für die, die sie damals erlebten (und auch ihren Fall), eine gefühlte Ewigkeit, gegen die die Zeit ohne Mauer wie im Flug vergangen scheint. Die Performerin Nele Stuhler wurde am Jahrestag des Mauerbaus im Jahr des Mauerfalls geboren, in Ostberlin. Ihre Großmutter nannte sie ihres Geburtstages am 13. August wegen „Mauer-Nele“. Mit den Resten der Mauer in den Köpfen und in der Stadt wurde sie sozialisiert. Ihre ersten Theatererfahrungen sammelte sie im Jugendtheaterclub der Volksbühne P 14. Später studierte Nele Stuhler Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, Regie in Zürich und Szenisches Schreiben in Graz. Die Mauer hat sie weiterhin beschäftigt. Und so kommt nun in dem Jahr, in dem Nele Stuhler so alt wird, wie die Mauer wurde, in den Sophiensælen ihr Stück „Mauerschau“ heraus. „Mein Leben ist so, wie es ist, weil es die Mauer nicht mehr gibt“, sagt sie. „Mein Leben ist aber auch so, weil es die Mauer gab, weil ich an den Resten der Mauer sozialisiert wurde. Wie kommt Leben zustande?“ (Sophiensæle: 22., 23., 24. und 25. 6., jeweils 20 Uhr).
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