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Archiv-Artikel

Ein schwacher Trost für Issaka

Sollte Rabi Issaka abgeschoben werden, droht ihr die Genitalverstümmelung. Gelsenkirchener Verwaltungsrichter sehen das anders. Trotzdem darf die Frau aus Niger in Deutschland bleiben – noch sechs Monate, wegen einer Hungersnot

AUS GELSENKIRCHENNATALIE WIESMANN

Rabi Issaka gegen die Bundesrepublik Deutschland, steht auf dem Schild vor dem Saal IV des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen. Eine 25-jährige Asylbewerberin aus dem Niger will die Richter überzeugen, dass ihr bei einer Rückkehr ins Heimatland die „Beschneidung“ droht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte zuvor ihr Asylgesuch abgelehnt.

Das gelb-rot-blaue Gewand und das rotgemusterte Kopftuch der Klägerin heben sich stark von der Farblosigkeit des Gerichtssaals ab. Hinter Issaka sitzt ihr Ehemann Rahilatu Omar mit den beiden gemeinsamen Töchtern, die eine drei, die andere ein Jahr alt. Für die Klägerin, die erst drei Jahre in Nordrhein-Westfalen lebt, hat das Gericht einen nigrischen Dolmetscher bestellt.

Mit angespanntem Gesichtsausdruck sitzt Issaka auf ihrem Stuhl. Ihre Dreijährige versucht auf den mütterlichen Schoß zu klettern, Issaka schiebt sie von sich. Sie ist sichtlich nervös. Nur etwa zehn Prozent der Beschlüsse des Bundesamtes werden vor den Verwaltungsgerichten in NRW revidiert. Anwältin Sarah Scheller sieht kaum Chancen, ein Bleiberecht für ihre Mandantin zu erkämpfen. „Der Fall ist auch besonders schwierig“, sagt sie vor der Verhandlung. Der Mann der Klägerin ist bereits Ende der 1990er Jahre als Asylbewerber nach Deutschland gegangen und habe sich über ein Jahr nicht mehr gemeldet. Weil Issakas Vater befand, dass eine Frau nicht so lange allein bleiben könne, habe er sie wieder verheiraten wollen – mit einem Mann, der von ihr die Beschneidung verlangt. Daraufhin flüchtete sie nach Deutschland zu ihrem Noch-Ehemann, der hier nur geduldet ist.

Im Niger sei die Genitalverstümmelung seit Jahren gesetzlich verboten, war die Begründung des Bundesamts, warum es geschlechtsspezifische Verfolgung nicht als Abschiebehindernis geltend machen wollte. Außerdem bestehe keine individuelle Gefahr für die Nigrerin, weil nach moslemischem Recht eine Frau nicht mit zwei Männern verheiratet sein dürfe – und sie sei ja bereits verheiratet. Das ist auch das Argument des vorsitzenden Richters des Verwaltungsgerichts, Bernd Andrick. „Das Gericht wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einem anderen Urteil kommen als das Bundesamt“, stellt er zu Beginn der Verhandlung klar. Er legt Issaka eine Rücknahme der Klage nahe. „Wir werden uns beim Ausländeramt dann dafür einsetzen, dass Sie wegen der allgemeinen gegenwärtigen Hungersnot in den nächsten sechs Monaten hier bleiben können“, stellt Andrick wohlwollend in Aussicht. In seiner 20-jährigen Laufbahn hätten sich die Ausländerbehörden immer an seine Empfehlungen gehalten.

Anwältin Scheller weiß, dass nach islamischem Recht eine Wiederverheiratung von Frauen trotz bestehender Ehe durchaus möglich ist – wenn der Mann sich seiner Unterhaltspflicht entzieht oder lange abwesend ist. Inwiefern dies im Niger üblich ist, kann sie dem Gericht aber nicht beweisen. Wegen der mangelnden Aussicht auf ein positives Urteil versucht sie ihre Mandantin zu überzeugen, das Angebot des Richters anzunehmen. Doch Issaka sträubt sich und spricht mit aufgebrachter Stimme auf den Dolmetscher ein: „Wenn ich darauf eingehe, werde ich dann in einem halben Jahr abgeschoben“, übersetzt dieser.

Richter Andricks Ton wird ungeduldiger. Über die Anwältin versucht er noch einmal Druck zu machen. Bei einer Ablehnung der Klage könnten die Ausländerbehörden sofort die Abschiebung einleiten. „Unser Vorschlag ist eine größere Hilfe als ein Urteil, glauben Sie uns, Frau Issaka!“ Nach einer kurzen Beratung mit ihrer Rechtsanwältin lässt sich die Klägerin widerwillig überreden. Als sie den Gerichtssaal verlässt, starrt sie traurig in die Leere. Die aufmunternden Schlussworte des Richters – „ich wünsche ihnen viel Glück und dass sie noch lange mit ihrer Familie in Deutschland bleiben können“ – trösten sie nicht wirklich. „Ich mache mir große Sorgen um meine Zukunft“, lässt sie übersetzen. Zwar würde ihre Familie sich hier einleben – die Tochter kommt im nächsten Jahr in den Kindergarten und ihr Mann hat eine Arbeit in Aussicht. „Aber niemand kann uns garantieren, dass wir in einem halben Jahr nicht doch abgeschoben werden.“