LeserInnenbriefe
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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Folkloretänzelei der Grünen

betr.: „Mit wackligen Knien in den Wahlkampf“, taz vom 19. 6. 17

Je besser die Inszenierung – und die war wirklich ziemlich gut –, desto weniger glaubwürdig ist der Kern der Sache. Das „progressive“ Programm (Grüne reloaded?!), die toughen Ansagen an Merkel und Co., das Markieren roter Linien – für mich vorerst nicht mehr als das schrille Pfeifen im Walde. Was am Ende von der grünen Folklore wirklich übrig bleibt, insbesondere wenn nach dem 24. September diesen Jahres tatsächlich Koalitionsgespräche anstehen, das wird mit Sicherheit der spannendste Teil, das heißeste Tänzchen, der ganzen Bundestagswahl werden.

IRA BARTSCH, Lichtenau-Herbram

Grüne Tagesordnung light

betr.: „Mit wackligen Knien in den Wahlkampf“, taz vom 19. 6. 17

In Ihrer Berichterstattung zur Bundesversammlung der Grünen fehlte Folgendes:

Auffällig war, dass zu aktuellen größeren Auseinandersetzungen mit allem Für und Wider die Tagesordnung überhaupt nicht gestaltet war. Stattdessen langatmiger Disput über einzelne Sätze des Wahlkampfprogramms (der Punkt Arbeit wurde übrigens rasch und ohne größere Diskussion verabschiedet). Ständig gab es selbstbezogene Jubelbekundungen („Wir sind stark!“ oder „Wir sind die Einzigen!“), der Eindruck war: Hier müssen sich Leute lautstark selbst bestätigen, um davon überzeugt zu sein (oder sich das zumindest einzureden). Kurzum: viel Emotion und zu wenig Sachlichkeit. Die Koalitionsfrage wurde einfach weggedrückt, als ob sie nicht hätten sagen wollen, welche Koalition anzustreben sei, aber welche anderen auch nicht ausgeschlossen sind. HENRIETTE WEIMER, Mainz

Was Sache war – zu Lebzeiten

betr.: „Blühende Landschaften“, taz vom 17./18. 6. 17

Jetzt muss ich mich doch noch melden aus dem „Tal der Ahnungslosen“ in Köln, nachdem ich auch heute wieder mit Befremden einige Leserbriefe zur besagten unwürdigen Titelseite gelesen habe.

Sehr merkwürdig, wie schamlos wir die Beleidigungen Lebender hinnehmen und bei Karikaturen zu Toten auf die Barrikaden gehen. Aus jahrelanger Tätigkeit als Trauerbegleiterin weiß ich, wie wenig hilfreich seltsame Tabus sind, das aussprechen zu dürfen, was Sache war … zu Lebzeiten. Was gab es zu sehen auf eurer Titelseite? Eine Grabescollage und kein verunstaltetes Gesicht? Was musste man sich in den Medien anhören? Sancto subito für einen Menschen, der so wichtig für die Einheit und für Europa war, so verhängnisvoll als Machtmensch und unempathischer Kalkulator.

Selbst meine zweiundneunzigjährige Mutter, die zeit ihres Lebens nichts anderes als CDU gewählt hat, hat sich geschüttelt und unglaublich echauffiert ob der Lobhudeleien, die plötzlich auf einen doch sehr streitbaren Politiker herabregneten. Schade, dass ihr euch für diese Titelseite entschuldigt habt. Ich fand sie sehr wohltuend „im Tal der Trauernden“.

Vielleicht muss Birne ja auch deshalb für so viel Begeisterung herhalten, weil der europäische Obstkorb ziemlich leer und angefault ist. HILDEGARD MEIER, Köln

Nun ist’s genug: Ruhe in Frieden

betr.: „Blühende Landschaften“, taz vom 17./18. 6. 17

Vielleicht war ja Helmut Kohl nicht nur in Hölderlin gut, sondern auch in Fontane? Und er hätte sich gar gefreut über eine Birne im Grab?

Ich bin so frei, Fontane etwas zu modifizieren:

„Es sagte der Helmut: Ich scheide nun ab

Legt mir eine Birne mit ins Grab

[…] Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus

Ein Birnbaumsprössling sprosst heraus

Und die Jahre gingen wohl auf und ab

Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab

Und in der goldenen Herbsteszeit

Leuchtet’s wieder weit und breit

[…] So spendet Segen noch immer die Hand

Des Oggersheimers auch im Havelland.“

H. W. HEINRICH, Bissendorf

Weiß bemalte Hände

betr.: „Die ‚Reibungslosigkeit‘ unterbrechen“, taz vom 20. 6. 17

Hier zeigt sich – wieder einmal –, dass es die sozialen Bewegungen bisher nicht vermocht haben, eine wirksame Kultur des gewaltlosen Widerstands in diesem Land zu etablieren. So können im Vergleich zu der Anzahl der Protestierenden nur wenige kleine Gruppen das öffentliche Leben und das mediale Bild der Demonstrationen dominieren. Und wie vom politischen Gegner bestellt, gehen die Inhalte verloren, um die es doch auf demokratischem Wege zu werben und zu ringen gilt.

Diese Verhältnisse gehören geradegerückt. Bis es so weit ist, rate ich zu individueller und gemeinschaftlicher Nothilfe: Viele Menschen stellen oder setzen sich zwischen die Polizeiketten und die selbst ernannten Revolutionäre! Die weiß bemalten Hände in alle Richtungen zeigend, möglichst mit weißen Hemden, die Slogans tragen wie „Strictly Non-Violent“ oder Ähnliches. Jeder und jede kann eine Bezugsgruppe gründen, als Teil eines Netzwerks die Idee weitertragen, sich wappnen gegen Aggressoren von innen und von außen. Ein Gegenmittel auch für künftige gesellschaftliche Auseinandersetzungen, die, was die Gewaltfrage angeht, eher an Härte zunehmen könnten. JENS KOTULLA, Mannheim