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Archiv-Artikel

Der Anti-Christo

„Floating Island“, ein wunderschönes, posthum realisiertes Projekt des Earth-Art-Künstlers Robert Smithson, bringt in Zeiten des beginnenden Klimawandels Umweltutopien nach New York

VON DANIEL SCHREIBER

Dass ausgerechnet Manhattan jetzt der Ort für das Revival einer zunehmend in Vergessenheit geratenen Kunstrichtung ist, hätte wohl kaum jemand für möglich gehalten, und dass sie ihre Renaissance zu einem Zeitpunkt erfährt, an dem Amerika mit Hurrikan „Katrina“ die bisher desaströseste Auswirkung des Klimawandels durchlebt, kam ebenso unerwartet. Earth Art, die erdverbundene Kunstform, die gemeinhin mit weiten, menschenlosen Landschaften und der Umweltbewegung assoziiert wird, hatte ihre Glanzzeit in den 1960er- und 1970er-Jahren. Im unbewohnten Westen Nordamerikas bauten damals Künstler wie Robert Smithson, James Turrell, Walter de Maria oder Michael Heizer riesige, abstrakte Skulpturen aus Basalt, Granit und Erdaufschüttungen und revolutionierten die Kunstwelt mit der Idee, dass Kunst auch außerhalb der Wände von Museum und Galerie stattfinden kann. Sogar so weit von jedem urbanen oder suburbanen Gebiet entfernt, dass man dafür eine lange, beschwerliche Pilgerfahrt in Kauf nehmen muss.

Rund vier Jahrzehnte später würdigt das Whitney Museum in New York Robert Smithson, den geistigen Vater und Superstar der Earth Art, mit einer umfangreichen, größtenteils dokumentarischen Retrospektive, und diese kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Smithson, der 1973 im Alter von nur 35 Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, sorgte für das ikonische Werk der Earth Art schlechthin, die „Spiral Jetty“ (1970) im Great Salt Lake in Utah. Die 450 Meter große, spiralenförmige Installation aus Basalt und Erdmaterial, eines der bekanntesten Kunstwerke Amerikas, vermittelt nicht nur den sublimen Eindruck einer urzeitlichen, beinahe außerirdischen Landschaft. Sie illustriert auch eine der zentralen Ideen im Werk Smithsons, das sich immer wieder am Gedanken des Entropischen rieb. Zwei Jahre nach ihrer Realisation verschwand die Spirale in den Fluten des Salzsees und tauchte erst zehn Jahre später, mit glitzernden Salzkristallen auf der Oberfläche, wieder auf. Alle natürlichen Systeme, so das Gesetz der Entropie, tendieren unweigerlich von Ordnung zu Chaos und Diffusion.

Der Clou der Werkschau ist jedoch Smithsons neuestes Projekt, das posthum von seiner Witwe Nancy Holt realisiert wurde und nur diese Woche zu sehen ist. „Floating Island“ ist eine 30 Meter lange und 10 Meter breite Insel – ein Stück Landschaft, das, von einem Boot gezogen und mit sechs regionaltypischen Baumarten und sieben Strauchsorten bepflanzt, durch die Flüsse New Yorks, den Hudson und den East River, schwimmt. Die Wirkungen von „Floating Island“ sind so vielfältig wie die Orte, vor deren Hintergrund die schwimmende Installation zu sehen ist. Von Williamsburg, Brooklyn Heights oder New Jersey aus fällt der Blick unweigerlich auf die atemberaubende Skyline Manhattans, die, tausendfach fotografiert und verfilmt, die verführerischen Fantasien New Yorks ebenso markiert wie seine Phantasmen, seinen Ehrgeiz und seine Härte. „Floating Island“ setzt dieser Sicht etwas Anderes, etwas Abseitiges hinzu, das dort eigentlich keinen Platz hat.

Die Schönheit des Projekts liegt in der selbstvergessenen Stille, mit der der Fleck Landschaft scheinbar ziellos durch die betriebsamen Wasserwege Manhattans treibt. In seiner Bescheidenheit ist „Floating Island“ eine Art Anti-Christo. Ebenso wie die Arbeiten des bulgarischen Künstlers und seiner Frau Jeanne-Claude verhandelt und verwandelt es die ureigene Räumlichkeit seines Auftrittorts. Doch im Gegensatz zur effektheischenden Extravaganza von „The Gates“, die im Februar dieses Jahres den Central Park in ein nicht zu übersehendes, lautes Orange getaucht hatten, gibt Smithsons Werk unprätentiös Anstoß zu dieser Verwandlung.

Der beste Platz, um sich die schwimmende Landschaft anzuschauen, ist der Battery Park am südlichen Zipfel von Manhattan. Hier, mit den Wolkenkratzern im Rücken und der salzigen Atlantikluft in der Nase, hat man wie an keinem anderen Ort die Inselgeografie New Yorks vor Augen. Man schaut auf Ellis Island mit der Freiheitsstatue, das kleine Governor’s Island und das dicht besiedelte Staten Island. Zwischen Helikoptern, luxuriösen Yachten, gigantischen Fährschiffen und blitzschnellen, gelben Wassertaxis taucht in der Ferne plötzlich die kleine Insel auf, die eigentlich nicht in diese hybride, städtische Landschaft gehört und deren Bäume schon erste Anzeichen einer gelblichen Herbstfärbung tragen.

Und niemals war es deutlicher, dass auch Manhattan eine Insel ist und damit ein Ort von Gezeiten, Wetterwechseln und Klimaschwankungen, ein Ort, der dem unausweichlichen Gesetz jener Entropien unterliegt, mit denen sich Smithson so obsessiv beschäftigte. In Zeiten von Hurrikanen, Fluten und Klimawandel sorgt so wenigstens die Kunst für ökologisches Bewusstsein in Amerika.

„Floating Island“ bis morgen; Retrospektive bis 23. Oktober