: Mario Draghi und der fahrige Fitnesstrainer
SUBVERSIV Der Kunstverein Braunschweig zeigt Installationen, bei denen der Spaß an der Technik ein kritisches Potenzial erschließt. Darunter ist eine Helmkamera, die Alltagstätigkeiten zur Kunst adelt
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Das Recht auf Faulheit forderte 1883 der südamerikanisch-französische Mediziner und Politiker Paul Lafargue. Dass ihm damit die Kritik seines Schwiegervaters Karl Marx gewiss war, verwundert nicht, galt doch ein Recht auf Arbeit den Proletariern aller Länder als Heiligtum. Und auch heute, in Zeiten automatisierter Überproduktion scheint eine Existenz nur als permanent sich selbstoptimierender, körperlich fitter Dauerarbeitender und all den Firlefanz Kaufender gesellschaftlich legitim.
Erfreulich somit, dass Lafargues subversive kleine Schrift immer wieder neu aufgelegt wird. Und auch, dass Künstler, deren Produktivität sich ohnehin landläufiger Arbeitsmoral geschickt zu entziehen weiß, dessen Credo reflektieren – und sei es nur als Wortspiel wie beispielsweise der US-Amerikaner Wyatt Niehaus.
In einer Gruppenausstellung des Kunstvereins Braunschweig mit dem Titel „Apparat“ setzt Niehaus sich mit dem frazösischen Zementkonzern Lafarge (ohne u) auseinander. Dieser gilt ihm als Sinnbild einer skrupellosen, globalisierten Arbeitswelt. In Syrien, so der Vorwurf, habe Lafarge zu lange mit der Schließung eines Werkes gewartet, stattdessen mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kooperiert und sie wohl auch finanziell ruhiggestellt.
Wyatt Niehaus deklariert Zementsäcke jetzt programmatisch um zu Lafargue-Produkten, begleitet sie durch Videos: vom Ballett eines Roboters zur vollautomatischen Fahrzeugproduktion oder der rauen See rund um eine norwegische Ölplattform. Denn auch dort wird die Arbeit ja nicht in erster Linie durch Menschen erledigt, sondern per Computer gesteuert von vereinzelt in der Unwirtlichkeit Ausharrenden.
Dann gäbe es noch Mario Draghi, seit 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank, auch er eine schöne Projektionsfläche sogenannter globaler Systemzwänge. Seine legendären drei Worte „whatever it takes“, also, dass alles Notwendige zu tun sei, um den Euro zu retten, stabilisierten 2012 die Währung und befeuerten die Börsenkurse. Nun bilden sie die Soundspur zu Andreas Fischers unbrauchbarem, skurril fahrigem Fitnesstrainer, der zudem noch rückwärts steppt – und ab und an die illusorische Durchhalteparole mit einem kurzen „we don’t get it“ durchkreuzt.
Die Braunschweiger Ausstellung, in der solche Gerätschaften und ähnliche Installationen zu sehen sind, will den künstlerischen Spaß an aktueller Technik, vor allem aber ein kommentierendes, zeitkritisches Potenzial veranschaulichen. Dass Videos und Aufzeichnungen performativer Aktionen überwiegen, liegt vielleicht in der Natur des Themas „Apparat“ und scheint zudem ein Trend derzeitiger Kunstproduktion zu sein.
Die in Berlin lebende Afrikanerin Sandra Mujinga etwa nutzt das komplette Programm aus Fotografie, Video, Performance und Musik zur crossmedialen Rekonstruktion ihrer eigenen Identität. Als Kind hat sie den Kongo verlassen und wuchs in Schweden wie Norwegen auf. Sie erobert sich nun die Orte und die Kultur ihrer afrikanischen Kindheit zurück, schaltet Bilder aus Stockholm oder Malmö dazwischen, lässt Doubles in archaischen Reptiliengewändern auftreten und schneidet das Ganze zu einem rasanten Clip, der Realität, Fiktion und verschiedene Zeitebenen unentwirrbar verwebt.
Zwei Altmeister unter den insgesamt zehn Künstlern beziehungsweise Teams erden dann das aktuell heftige Flirren realer wie virtueller Realitäten. Alexander Kluge steuert als Kommentar im dafür vorgehaltenen „Gästezimmer“ Interviews mit Wissenschaftlern bei, die sich mit Fragen einer Intelligenz außerhalb des menschlichen Daseins beschäftigen.
Dagegen stürzt sich Margaret Raspé, die Wegbereiterin des feministischen Experimentalfilms, mitten ins Leben. Als junge Mutter hatte sie in den 1970er-Jahren begonnen, ihre alltäglichen Verrichtungen mit einer Helmkamera aufzuzeichnen. In stillen Filmen erhebt sie ihre Haushaltstätigkeiten wie Geschirrspülen und Essenkochen – als „Reproduktionsarbeit“ gesellschaftlich immer gern ausgeblendet – auf die gleiche Ebene mit ihrer künstlerischen Aktivität. Sich die Deutungshoheit über das eigene Wirken zu sichern, so mag sie uns sagen wollen, ist eine weitere Form notwendiger Subversion. Bettina Maria Brosowski
bis 13. August, Kunstverein Braunschweig
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