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Archiv-Artikel

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Ein Weltstar fährt vorbei an Lauben

Vor 21 Jahren war die schottische Schauspielerin Tilda Swinton, damals noch mit langen roten Haaren, mit dem Fahrrad in Berlin unterwegs: immer an der Mauer lang, im Westen der geteilten Stadt. Hauptstadt drüben, Enklave hüben, dazwischen die Wand und vor der Wand auf dem Rad der spätere Weltstar. Cynthia Beatt hatte das gefilmt. Sie ist auf Jamaica geboren, aber seit den 70er-Jahren in Berlin zu Hause, mit Tilda Swinton befreundet und in mehreren rund um 1980 entstandenen Filmen von Rudolf Thome als Darstellerin zu bewundern. (Der wiederum, Rudolf Thome, das sei hier schnell eingeschmuggelt, feiert übermorgen seinen Siebzigsten: Glückwunsch.) Der kleine, angenehm schroffe und kurze Swinton-Beatt-Film, sein Titel war „Cycling the Frame“, entstand für den SFB, war an drei Tagen abgedreht, der Weg führte vom Brandenburger Tor nach Osten, nach Westen und wieder zurück. Dauer des Films 27 Minuten, nach der Ausstrahlung war er recht gründlich vergessen.

Bis Tilda Swinton erst zu einer Derek-Jarman-Retrospektive, dann gar als Berlinale-Jury-Präsidenten nach längerem erstmals wieder nach Berlin zurückkehrte und am Potsdamer Platz überhaupt nichts mehr wiedererkannte. Gemeinsam mit Cynthia Beatt kam sie auf die charmante Idee, die Radtour von damals unter den grundlegend veränderten Bedingungen der Gegenwart zu wiederholen. Hauptstadt drüben, Hauptstadt hüben, dazwischen keine Wand, und auf dem Streifen, der hier und da die einstige Mauer markiert, auf dem Rad der heutige Weltstar in Wasserstoffblond. Wieder ein Film, diesmal rund eine Stunde, „Essayfilm“ nennt sich das, ein Filmgedicht ist es eher, aber weiter aufregend ist es nicht.

Am formalen Prinzip des Originalfilms hat sich beim Remake wenig geändert. Swinton radelt, die Kamera macht sich auf zu Kamerafahrten, mal hinter ihr her, mal seitlich an Häusern und Hecken entlang, Swinton kommt dann früher oder später ins Bild. Dazu gibt es neben Blätterrauschen und S-Bahn-Lärm im O-Ton Geräusche der geschmackvollen Art, von Didgeridoo-artigem über Technoides zu eher Ambient-förmigen Soundscapes (zuständig dafür: Simon Fisher Turner; im ersten Film war der Soundtrack um einiges ungefälliger). Wiederum nimmt die Fahrt vom Brandenburger Tor ihren Ausgang, bewegt sich dann Richtung Peripherie und führt vor, wie grün und vorstädtisch und laubenpieperisch Berlin wird, sobald man das Zentrum verlässt.

Die Bilder und Fahrten der Kamerafrau Ute Freund sind oft sehr schön und mit einer gewissen Eleganz hintereinander montiert. Es ist nur so, dass eine noch so schöne Tilda Swinton auf ihrem Rad dabei fast ein bisschen überflüssig scheint, weil sie die Aufmerksamkeit auf sich zieht, die man eigentlich ungeteilt dem Licht Berlins im Sommer, dem Leben in den Vorgärten und auf den Straßen, den ins Offene befreiten Perspektiven, dem Wachsen und Wuchern und Grünen schenken möchte. Dazu dann immer wieder Swinton, die stehen bleibt und von Schautafeln in gutem Deutsch Texte liest, die Kaulquappen beobachtet im Wasser, die von einem Stein auf den anderen springt beim Blick auf die unsichtbar gewordene Mauer und die auf dem Rücken in einer Wiese liegt.

Und noch mehr: Auf der Tonspur gibt es, sparsam, aber nicht unaufdringlich, Gedanken von Beatt und Swinton und Gedichte von William Butler Yeats und Olga Achmatowa. Das ist aus mehr als einem Grund problematisch. Einerseits drücken die Gedanken und Gedichte mal durch Banalität, mal durch lyrische Schwere auf die leichtgewichtigen Impressionen. Andererseits wirkt die zitierte Poesie dabei – absichtlich oder nicht – ganz entschieden entpolitisierend. Wozu wiederum die Tatsache nicht recht passt, dass Swinton zwischendurch von einer Mauer raunt, die anderswo gebaut wird. Mit der Widmung des Films an das palästinensische Volk wird, was daran womöglich noch unklar war, dann beseitigt. Nicht nur hier macht es sich der Film etwas einfach. EKKEHARD KNÖRER

■ „The Invisible Frame“. Regie: Cynthia Beatt. Mit Tilda Swinton. Deutschland 2009, 60 Minuten. Die DVD enthält zusätzlich den Film „Cycling the Frame“ von 1988, ist bei Filmgalerie 451 erschienen und im Handel ab rund 17 € erhältlich