: Kanten mit Kontext
KLANG-GLOBALISIERUNG Der kalifornische Musik-Weltenbummler Filastine globalisiert seine Fieldrecordings gerecht: Ohne Kontext und politische Implikationen auszublenden
VON ROBERT MATTHIES
Jede Menge praktisches Wissen über die globale Aneignung lokaler Besonderheiten und andere mitunter schmerzhafte Zusammenstöße von Ungleichem hat Grey Filastine sich schon in Seattle angeeignet. Damals, als die so genannte Globalisierungskritik mit den Protesten gegen den dritten WTO-Gipfel erstmals auch in den Metropolen unübersehbar Einzug gehalten hat.
Als Trommler der Anarcho-Industrial-Punks iTschung!, als vortrommelnder Gründer des 25-köpfigen Musik-Protest-Kollektivs Infernal Noise Brigade und mit seinem Fahrrad-Megaphon-Orchester Sound Swarm war der antikapitalistische Weltenbummler Ende der 90er immer da, wo Polizeiknüppel mit Kritikerköpfen zusammenstießen. Schon damals prallte bei dem radikalen Aktivisten auch musikalisch viel aufeinander: Taikos, indische und nordafrikanische Rhythmen, Balkanfanfaren oder Breakbeats.
Mittlerweile hat es den nomadischen Musik-Aktivisten nach Barcelona verschlagen, von wo aus er sich immer noch mit Mikrophonen und Lautsprechern unermüdlich in die ganze Welt aufmacht, durch Nachtclubs, besetzte Häuser, ökologische Gefahrenzonen und aufständische Regionen zieht und Fieldrecordings sammelt, die er anschließend manipuliert und verdichtet. Immer darauf bedacht, keine Kante abzuschleifen, den Kontext des Gesammelten und seine Besonderheit nie einfach in einen tanzbaren Hybriden zu verwandeln, dessen Differenzen nicht mehr erkennbar und dessen politische Implikationen nicht mehr nachvollziehbar sind.
Eine musikalische Heimat für seine Vorstellung gerechter Klang-Globalisierung hat der Kalifornier vor sechs Jahren beim Label Soot des kongenialen Stil-Wirblers Jace Clayton alias DJ Rupture gefunden, hat auf Kid606s Label Tigerbeat6 veröffentlicht und ist mit seinem aktuellen Album „Loot“ nun beim kalifornischen Spezialisten für urbane Zukunftsmusik Muti Music untergekommen.
Morgen Abend präsentiert Filastine „Loot“ gemeinsam mit der javanesischen Sängerin Nova: Ein so genannte kulturelle Grenzen ebenso wie Subwoofer aufsprengender Mix aus Dubstep, Baile-Funk, Banghra-Rhythmen und tunesischer Folklore, nicht als Neben- und Durcheinander unterschiedlicher Traditionen oder als Kolonisierung des Exotischen, sondern als urbane Erfahrung. Als Versuch, neue Wege zu finden, einen geteilten Raum zu bewohnen. Als klangliche Orientierungshilfe.
■ Do, 15. 11., 21.30 Uhr, Hafenklang, Große Elbstraße 84