: Ein später Auftrag
Erstmals beleuchtet ein Buch auf wissenschaftlicher Grundlage die nationalsozialistische Vergangenheit des Deutschen Fußball-Bundes. Der DFB beauftragte nach jahrzehntelangen Versäumnissen endlich einen unabhängigen Historiker
VON STEFAN OSTERHAUS
Der Mainzer Historiker Nils Havemann ist in seinem Buch „Fußball unterm Hakenkreuz“ mit dem Anspruch angetreten, die erste wirklich umfassende Darstellungen auf wissenschaftlicher Grundlage zu liefern. Es ist ihm gelungen, auf 473 eng bedruckten Seiten, versehen mit einem umfänglichen Anmerkungsteil, der ein imponierendes Quellenverzeichnis offenbart. Es musste freilich erst einiges geschehen, damit dieses Buch erscheinen konnte.
Bereits im Jahr 1999 war die NS-Vergangenheit des DFB zur Streitsache geworden. Der Verband edierte die Chronik zum 100-jährigen Jubiläum im Folgejahr. Erst auf Nachfrage von Journalisten nahm man sich überhaupt des Themas „Fußball im Dritten Reich“ an, doch die Festschrift gestattete sich ausgerechnet in Sachen Nazi-Vergangenheit einen Fauxpas: Der Autor Karl-Adolf Scherer, ein ehemaliger Journalist der Nachrichtenagentur Sid, beließ es nicht bei einer schmeichelhaften Darstellung. Vielmehr schalt er in einem Beitrag für seinen alten Arbeitgeber die Publikation „Stürmer für Hitler“, verfasst von Gerhard Fischer und Ulrich Lindner, die zeitgleich erschienen war, als ein Machwerk, das bloß nicht an einem Mann wie Fritz Walter „hängen bleiben“ solle.
In der Defensive
Scherers Schelte geriet zum Bumerang, der DFB in die Defensive und sah sich allerlei Anwürfen ausgesetzt, warum sich ausgerechnet der größte Sportfachverband der Welt einen derart defizitären Umgang mit seiner eigenen, keineswegs unproblematischen Vergangenheit leistet. Im Chor der Kritiker fanden sich Gerhard Schröder und der damalige Bundespräsident Johannes Rau wieder. So sah man sich angesichts der breiten Opposition genötigt, jene Studie in Auftrag zu geben, die dem Thema gerecht wird. Man war nicht zum ersten Mal in aller Deutlichkeit darauf gestoßen worden. Bereits zum 75. Verbandsjubiläum hatte ein Festredner Unmut im Saal provoziert. Anders als bestellt, wies der Tübinger Rhetorik-Professor Walter Jens auf den schwarzen Fleck in der Verbands-Historie: „Nichts über das Echo in den eigenen Reihen: die Anpassung und die Verweigerung“, beklagte Jens. Da passte es ins Bild, dass sich die Jahre von 1975 bis 2000 ereignislos gestalteten; ein Vierteljahrhundert des Stillstands. Zur Hundertjahrfeier musste Jens seine Kritik nur runderneuert präsentieren.
Womöglich würde ihn „Fußball unterm Hakenkreuz“ zufrieden stellen, wenngleich Skeptiker einwenden könnten, eine Auftragsarbeit habe per se viel eher die Tendenz, gefällig zu klingen, als ein unabhängiges Gutachten. Doch bereits die ersten Seiten widerlegen diesen Verdacht, und Havemann wurde vom DFB während dreier Recherche-Jahre nicht nur in Ruhe gelassen, nein, er ist vom DFB nicht einmal direkt auserwählt worden. Die Organisation hatte sich seinerzeit an den Deutschen Historikerverband gerichtet, der Havemann das Projekt antrug. Lediglich ein anfängliches Gespräch habe es gegeben, sagt der Autor. Danach, so Havemann, „habe ich drei Jahre lang nichts vom DFB gehört“. Kein einziger Kontakt mit dem Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder, unter dessen Regie die Studie in Auftrag gegeben wurde; das erste Treffen mit dem jetzigen Mit-Amtsinhaber Theo Zwanziger ergab sich zur Präsentation des Buches in Berlin. „Im DFB sitzen ja durchaus clevere Leute, die wissen, dass es ein Eigentor wäre, wenn man versuchen würde, Einfluss auf das Ergebnis der Studie zu nehmen“, sagt Havemann.
Die Ruhe zahlte sich aus. Havemann genoss für einen Historiker „paradiesische Arbeitsbedingungen“. Finanziell solide ausgestattet, konnte er sämtliche Archive aufsuchen, um die Quellenlage zu sondieren. Und ebendas macht die Qualität von „Fußball unterm Hakenkreuz“ gegenüber allen bisherigen Veröffentlichungen aus. Vielversprechende Versuche wie etwa der von Fischer und Lindner in „Stürmer für Hitler“ blieben auf halben Wege stecken, weil den Autoren die maßgeblichen Quellen nicht zur Verfügung standen.
Kontroverse Diskussion
Angesichts des langen Anlaufes erscheint es nur konsequent, dass Havemanns Publikation prompt zum Streitfall gerät: Der Autor Arthur Heinrich ficht in der Welt die Hauptthese an: Im Falle des DFB habe es sich um eine nicht sonderlich politische Organisation gehandelt, die der NS-Ideologie keineswegs in dem Maße frönte, wie es andere Autoren angenommen hatten; vielmehr habe es sich beim DFB um einen Schmarotzer gehandelt, der sich verhalten habe wie viele Unternehmen im NS-Staat auch. Die Ideologie kam dann gelegen, wenn es den eigenen Zielen dienlich war. Was vordergründig recht harmlos klingt, liest sich im Detail so: Maßgebliche Funktionäre des Verbandes „identifizierten sich sogar derart stark mit der NS-Herrschaft, dass sie über Denunziantentum oder Hetze gegen Andersdenkende in ihrem Lebensbereich die Niedertracht des Systems mitverkörperten“. In einer Art vorauseilendem Gehorsam wären manche recht schnell zu „begeisterten Anhängern von Hitler geworden“ – und das eigentliche Versagen des DFB sieht Havemann vor allem in dem Umstand, keine Auswege aus der Wirtschaftskrise gesucht zu haben, sondern stattdessen einem „Konkurrenzantisemitismus“ gefrönt zu haben. Man gaukelte vor, den Amateurgedanken zu pflegen, und leugnete somit die „hochmoderne Ausrichtung des Verbandes“.
Entlastungszeugnisse klingen anders. Havemann kommt vielmehr zu einem klaren Ergebnis. Mit dem DFB verhielt es sich nur wenig anders als mit weiten Teilen der Gesellschaft, frappierend in seiner Spiegelbildlichkeit. Dass Havemann sich gegen diverse Anwürfe wird verteidigen müssen, kann dem Thema nur dienlich sein: Zu lange ist keine ernsthafte Diskussion über diese dunkle Dekade des Fußballs geführt worden.
Nils Havemann: „Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz“. Campus, Frankfurt/New York 2005, 473 Seiten, 19,90 Euro