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Archiv-Artikel

Der Kranke aus Paris

EURO Premierminister Ayrault muss bei seinem Besuch in Berlin Sorgen um Frankreich ausräumen

PARIS taz | Nicht nur in Frankreich selbst, sondern auch bei dessen Partnern in Europa herrscht kräftig Klärungsbedarf. In Paris hat Staatspräsident François Hollande am Dienstag bei einer sehr ausführlichen Pressekonferenz seinen verunsicherten und unzufriedenen Landsleuten die Gebrauchsanweisung für seine Reformpläne geliefert. Am heutigen Donnerstag kommt sein gut deutsch sprechender Premierminister Jean-Marc Ayrault in derselben Mission nach Berlin.

Als Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) seine Experten beauftragte, die Wirtschaftslage Frankreichs genau unter die Lupe zu nehmen und Vorschläge für Reformen auszuarbeiten, klingelten in Paris bereits die Alarmglocken. Als dann noch Schäubles Wirtschaftsweiser Lars Feld erklärte, Europas größtes Problem sei nicht Griechenland, Spanien oder Italien, sondern Frankreich, verwandelte sich das Erstaunen in Wut.

Schäuble musste bereits im Vorfeld des Ayrault-Besuchs einräumen, er halte Frankreich nicht für den „kranken Mann Europas“. Die Zeit hat den „Fauxpas“ für „taktlos, aber hilfreich“ erklärt: Der politische Affront sei nützlich, weil die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs echt sei. Auch die EU-Kommission ermahnte Paris zu mehr Realismus. Bisher geht die französische Regierung unbeeindruckt von den Unkenrufen der Konjunkturforscher für 2013 von einem Wachstum von 0,8 Prozent aus, Brüssel hält schon die Hälfte davon für eine freudige Überraschung.

Es geht nicht um die Zahl hinter dem Komma, sondern um die Glaubwürdigkeit des Versprechens, das Defizit bis Ende nächsten Jahres auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken, laut Fiskalpakt Pflicht für Eurostaaten. Darum werden in Paris die Mahnungen trotz irritierter Reaktionen ernst genommen.

Wie Hollande zu Hause soll Ayrault nun in Berlin erklären, dass die Wettbewerbsfähigkeit für die Regierung Priorität hat – ohne dass es dazu irgendwelcher Ratschläge deutscher Experten brauche. Es geht vor allem um Reformen auf dem Arbeitsmarkt.

Dass sich die Sozialpartner in einem Dialog nach deutschem Muster auf den von Hollande gewünschten „historischen Kompromiss“ verständigen, ist angesichts der französischen Tradition der Konfliktlösung unwahrscheinlich. Der Staat wird darum alles „à la française“ – per Gesetz – regeln. RUDOLF BALMER