Im Park, beim Arzt, in der Schlange vorm Club: Warten, immer nur warten
Ausgehen und Rumstehen
von
Svenja Bednarczyk
Es ist Samstag, 11.30 Uhr, und Freundin D. wartet auf mich auf einer Wiese in Friedrichshain. Sie kommt jedes Mal 10 Minuten zu früh, ich bin eher 15 Minuten zu spät. Ich begrüße sie mit einem lächelnden „Ohhhh, tut mir leid“. Ich sage es eine Stimmlage höher, wie ein neckendes Kind. „Das war ja zu erwarten“, entgegnet sie ernst. „Aber das akademische Viertelstündchen“, ziehe ich sie auf, „damit musst du rechnen.“ D. kühl: „Aha.“ „Sei froh“, halte ich entgegen, „dass ich mich nicht nach der autonomen halben Stunde richte und immer 30 Minuten zu spät bin.“ „So ein Quatsch“, antwortet D. „Beim nächsten Mal warte ich nicht mehr, sondern gehe einfach.“ Ui, das ist mal eine Ansage.
Freundin W. trifft als Letztes ein, obwohl am Ende der Straße wohnend, bekommt sie natürlich trotz Verspätung weniger Ärger als ich. Ich frage mich, ob ich eigentlich insgesamt mehr Zeit auf andere warte oder die anderen auf mich. Es ist angenehme 25 Grad warm und die Wiese ist klein, aber voller Menschen. Neben uns liegen verkaterte Backpacktouristen, zwei Gruppen sitzen, tanzen und grölen in ihrer After Hour. Die einen beschallen uns mit Trash, die anderen mit elektronischer Musik. Zwei Getränke lang halten wir diesen Soundbrei aus. Eigentlich sind wir zum Tanzen verabredet, aber D. will nun doch lieber Eis essen gehen und verabschiedet sich. Nur W. und ich brechen zum Tagesrave auf.
Die Schlange ist zu lang für diese Zeit. Wir warten in der Mittagssonne. Ohne Wasser. Freundin W. hat lediglich noch einen lauwarmen Schluck Konterbier aufgehoben. „Was meinst du, wie lange es dauern wird?“, bohrt W. Sie hat nur vier Stunden Zeit und trifft dann ihre Eltern. „Ach, in zehn Minuten sind wir drin“, lüge ich. Vor uns steht eine Gruppe von Frauen, jede von ihnen trägt etwas metallisch Schimmerndes. Silber ist diesen Sommer ganz groß, las ich in Frauenzeitschriften im Wartezimmer beim Arzt. Hinter uns steht ein Typ, der alleine ansteht. Es gibt schlimmere Schlangennachbarn: Großgruppen, die während des Wartens um ein vielfaches wachsen, pöbelnde Männer, Leute, ohne jedes Gefühl für Distanz, die unangenehm nah auf die Pelle rücken. Aber auch Alleinansteher haben zu wenig Distanz, zumindest akustisch. Wie Menschen, die sich, wenn man zu zweit im Café ist, an den direkten Nebentisch setzen, obwohl alles andere leer ist. Mit dem Unterschied, dass die Alleinansteher stets Gespräche mithören müssen, ob sie wollen oder nicht. Wir geben uns Mühe, ihn mit Small Talk zu langweilen. „Es ist so warm, ich kann an nichts anderes denken“, sagt W. „Dazu hab ich so ein Alkoholikerglühen.“ Ein was? „Das ist, wenn man so mehrere Tage hintereinander Alkohol trinkt und dann ganz warm ist im Gesicht“, erklärt sie. „Nee, du hast zu wenig Wasser getrunken“, sage ich, „oder du hast ein Sonnenglühen.“ Tatsächlich holen wir uns gerade einen Sonnenbrand. Während der 30 Minuten Anstehen verdoppelt sich die Schlange. Sie wird so lang, dass ich mich nicht anstellen würde, egal, wie gut die Party ist. Doch dann denke ich an mein schlimmstes Ansteherlebnis: dreieinhalb Stunden für eine Hipsterveranstaltung in der Alten Münze gegenüber vom Roten Rathaus mitten im Winter. „Das hätte ich niemals mitgemacht“, empört sich W., und auch ich bin heute nicht mehr sicher, wieso ich damals nicht einfach umgekehrt bin. Ich denke, Gruppenzwang und die Überredungskünste der Begleitung hatten daran Schuld. Dann geht alles ganz schnell: Tasche zeigen, zahlen, rein und dann Verwunderung: Eine Tanzfläche ist leer. Auf der anderen tanzen ein paar Versprengte zu mittelmäßigem House, die meisten sitzen einfach nur in der Sonne. Also warten wir weiter. Diesmal auf Freunde, die noch kommen wollen. Und auf bessere Musik.
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