: „Manche Bücher sind kalt“
Wissen Die Rudolf-Steiner-Buchhandlung in Hamburg lädt dazu ein, sich mit Anthroposophie zu beschäftigen. Ihre Bücher sollen im Leser seelisch und geistig etwas in Bewegung setzen
von Lena Eckert
Eigentlich ist es an der viel befahrenen Rothenbaumchaussee in Hamburg eher laut und hektisch. Einen Kontrast bietet da die Rudolf-Steiner-Buchhandlung für Anthroposophie. Nicht nur lesen können die KundInnen hier: Im Laden gibt es auch ein kleines Café. „Wir möchten, dass die Menschen sich eingeladen fühlen“, sagt die Geschäftsführerin Birgit Philipp.
Sie hat kurze, beinahe weiße Haare, Lachfältchen um die Augen und ein offenes Lächeln. Zahlreiche Pflanzen bilden vor ihrem Laden eine Abgrenzung zur Straße. Zwischen den Tontöpfen steht eine Vitrine mit Büchern und buntem Holzspielzeug. Ein kleiner Tisch, ein Stuhl und ein Korbsessel stehen draußen vor dem Schaufenster. Im Laden dämpft blau melierter Teppichboden die Schritte. Umgeben von hohen Holzregalen und Tischen voller Bücher sollen sich die KundInnen hier in Ruhe der Anthroposophie widmen können.
Sortiment bewusst gewählt
„Anthroposophie ist das Wissen vom Menschen“, erläutert Birgit Philipp. Es gehe also um die Beschäftigung mit der Frage „Wer ist der Mensch?“. Dadurch könnten die Menschen lernen, „das Wissen über den Menschen denkend zu erkennen“. Anregungen und Ansatzpunkte für eine solche Beschäftigung mit dem Menschen finden sich in der Buchhandlung reichlich. Neben Titeln wie „Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?“ und „Die Gabe zu heilen“ stehen Bücher über Brot, das Gärtnern und uralte Bäume. Autoren sind zum Beispiel Nietzsche, Luther, Goethe, Oliver Sacks oder Wolf Biermann. Oder Papst Franziskus, wie eine Kundin anmerkt. „Das signalisiert die große Offenheit der Leitung“, sagt sie.
Allerdings ist das Sortiment sehr bewusst ausgewählt. „Manche Bücher sind kalt“, sagt Birgit Philipp. „Die nehmen wir nicht gerne in unser Sortiment auf.“ Stattdessen böten sie Bücher an, die den Leser konfrontierten und ihn etwas erleben ließen. „Ziel ist es, dass beim Leser etwas in Bewegung kommt – seelisch und geistig“, fügt sie hinzu. Deshalb werden die KundInnen in dieser Buchhandlung ausführlich beraten. „Wir haben Kontakt zu vielen verschiedenen Menschen“, sagt Birgit Philipp. „Unsere Aufgabe ist es herauszufinden: Wer steht da vor uns, und was sucht er?“. Was das angehe, könnten sie eigentlich alles bedienen, sagt sie.
Spezialisiert ist der Laden allerdings auf Rudolf Steiner, das wird besonders in der oberen Etage deutlich. Der Fußboden knarzt leise, von draußen dringt gedämpfter Straßenlärm herein. Im Raum gibt es zahlreiche Sitzgelegenheiten. Mal sind es Korbsessel, mal zierliche, mit Leder bezogene Holzstühle, mal ein breiter roter Samtsessel oder einfach Kissen in sanften Rottönen auf der breiten Fensterbank. Auf Holztischen stehen Vasen mit roten Rosen.
Das einzige Objekt, das nicht ganz in dieses Bild passt, ist ein weißer Karton mit der Aufschrift „Premium Bananas“. Etwas verloren steht er unter einem mit Büchern beladenen Tisch. Cornelia Berns, Mitarbeiterin der Buchhandlung, kommt die Treppe herauf, bleibt vor dem Tisch stehen und blickt auf den Karton. „Sind da noch solche Engel drin?“, fragt sie an Birgit Philipp gerichtet. „Ich glaube nicht“, antwortet sie, und Berns verschwindet wieder nach unten.
Umringt von Rudolf Steiner
Andreas Winkelmann über den Grundsatz der Buchhandlung.
Auch diesen Raum prägen große Holzregale. Gleich an der Treppe steht eines, in dessen Fächern Achatscheiben, Amethyste, Kerzen und Kerzenständer aufgereiht sind. Eine ganze Regalwand ist mit Büchern von und über Rudolf Steiner gefüllt. Anthroposophie, Kundalini, Willensstärkung, inspiratives Erkennen und Selbsterziehung sind nur einige der Themen.
Einzelbände, die Gesamtausgabe, Taschen- oder gebundene Bücher, Vorträge, Briefe, Zeichnungen – die KundInnen sind förmlich umringt von Rudolf Steiner. Mit strengem Blick beobachtet er von Postkarten und Buchcovern aus die KundInnen. Und auch die Bücher anderer AutorInnen, die ihm gegenüber nach Rubriken wie Christentum, Kunst/Kultur, Medizin/Landbau, Astronomie/Astrologie, Eurythmie, Heilpädagogik, Sprache und Farbe geordnet sind.
Unwissenschaftlichkeit werfen KritikerInnen der Anthroposophie oftmals vor. Philipp sieht das anders: „Die Anthroposophie ist wissenschaftlich, weil sie durch Denken erfassbar ist.“ Diese Auffassung sei allerdings „heutzutage vielen Menschen absolut fremd“, bedauert sie. Philipp spricht mit ruhiger Stimme und formuliert ihre Sätze sorgfältig. Sie möchte den Eindruck vermeiden, Anthroposophie sei vereins- oder parteienähnlich. Sie bemüht sich, Anthroposophie so zu erklären, dass sie nicht abschreckend wirkt.
Ein bisschen in die Quere kommt ihr dabei Andreas Winkelmann. Er war Mitbegründer des Ladens, arbeitet allerdings seit 20 Jahren nicht mehr dort. Trotzdem legt er Wert darauf, seiner Skepsis gegenüber der oft kritischen Berichterstattung über Anthroposophie Ausdruck zu verleihen. Obwohl Birgit Philipp diese Skepsis teilt, versucht sie ihn zu besänftigen.
Dabei betont Winkelmann die Offenheit der BetreiberInnen. „Wir heißen natürlich jeden willkommen – unabhängig von dessen weltanschaulicher oder auch parteipolitischer Einstellung“, sagt er. „Für uns wäre es nicht schön, wenn der Eindruck entstünde, dass wir anhand der ‚Einstellung‘ selektieren und missionieren“, ergänzt Philipp.
Und ihnen sei wichtig, dass immer wieder Kunden auf den Laden einwirkten. „Das ist eine Strapaze, aber sehr wichtig“, sagt er. Philipp stimmt ihm zu: „Wir sind auf Wünsche und Verbesserungsvorschläge unserer Kunden angewiesen und lassen uns gerne korrigieren.“ Allerdings werden die Vorschläge sorgfältig geprüft. „Was wir hier anbieten, das müssen wir vertreten.“
Damit meint Philipp auch das Angebot an Büchern und Spielzeug für Kinder. „Bei Kindern ist es wichtig, dass Erwachsene für sie auswählen“, betont sie. Die BetreiberInnen bevorzugten „Geschichten, in denen der Protagonist sich aus eigener Kraft und selbstständig entwickelt.“ Schmunzelnd sagt sie: „‚Immer dieser Michel‘ ist zum Beispiel eines der wunderbarsten Bücher, die ich kenne.“ Nicht im Sortiment befinden sich Harry-Potter-Bücher oder ähnliche Fantasygeschichten.
Dafür gibt es eine große Auswahl an Holzspielzeug: Autos, Figuren, Musikinstrumente und einen Bausatz für ein „Schiff, das gegen die Strömung fährt“. Auf einem Regalbrett sitzen Waldorfpuppen aus Wolle und Baumwollstoff, die gestrickte Schuhe und Mützen tragen. 54 Euro kosten die kleinen, 84 Euro die etwas größeren. Die Buchhandlung liegt in einem der teuersten Stadtteile Hamburgs.
Engel sind gerade alle
Eine Kundin kommt extra wegen des Sortiments für Kinder. in den Laden „Ich arbeite viel mit kleinen Kindern“, sagt sie. „Das, was es hier so gibt, passt zu dem Konzept, das ich bei der Arbeit verfolge.“ Dann sieht sie sich suchend um. „Eine Freundin von mir macht diese kleinen Engel, die hier verkauft werden“, sagt sie und lächelt. „Ich glaube aber, sie sind gerade alle.“
Sie möge die Buchhandlung auch über das Sortiment hinaus, sagt eine andere Kundin. Mit ihren kurzen, grauen Haaren und dem offenen Lächeln sieht sie Birgit Philipp ein bisschen ähnlich. „Ich finde es toll, dass man sich hier auch einfach in die Sonne setzen kann“, sagt sie und deutet auf den Korbsessel, vor dem Schaufenster. „Man kann sich hier in Ruhe umschauen, aber man kann auch einen Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen.“ Sie sei wegen ihres Umzuges lange nicht mehr in der Buchhandlung gewesen, sagt sie. „Aber es war mir ein Bedürfnis, mal wieder vorbeizuschauen.“
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