piwik no script img

„Sie sind einander nah“

Vergleich Anthroposophie und Buddhismus nutzen verschiedene Begriffe für ähnliche Inhalte. Und haben im Westen ein gemeinsames Alleinstellungsmerkmal: die systematische Geistesschulung

Er war vor den Anthroposophen da: Buddha, hier in Bhopal bei der Körperpflege Foto: Sanjeev Gupta/dpa

Interview Petra Schellen

taz: Herr Petersen, haben die Anthroposophen den Buddhismus kopiert und verfälscht?

Oliver Petersen: Rudolf Steiners Anthroposophie-Bewegung ist ja aus der Theosophie hervorgegangen, die sich intensiv mit östlichen Religionen befasste – auch mit dem Buddhismus. Aber auch Steiner hat den Buddha sehr geschätzt. Er ist regelmäßig auf den Buddha eingegangen und hat dessen Bedeutung herausgestellt – dass er zum Beispiel universelle Liebe in die Welt gebracht habe.

Und wie steht der Buddhismus zur Anthroposophie?

Die meisten Buddhisten – tibetische Lamas etwa – wissen relativ wenig über Theosophie und Anthroposophie, zumal die Anthroposophie den Buddhismus nicht beeinflusst hat. Die Theosophen dagegen haben sich sehr stark mit dem Buddhismus identifiziert und etwa den Begriff des Bodhisattvas übernommen – die Vorstellung von Wesen, die immer wieder in diese Welt kommen, um anderen zu helfen. Das wird auch in der Anthroposophie akzeptiert, soweit ich weiß.

Zudem glauben die Anthroposophen an Wiedergeburt und Karma. Sind sie damit nicht fast schon Buddhisten?

Reinkarnation und Karma gibt es ja nicht nur im Buddhismus, sondern auch im Hinduismus und sogar im Westen, etwa bei Pythagoras oder Plato. Auch in den Mysterienkulten der Antike spielt Wiedergeburt eine Rolle. Und der Physiker und Theologe Carl-Friedrich von Weizsäcker hat einmal gesagt: Dass es so etwas wie Wiedergeburt gibt, ist eine der großen Hypothesen der Menschheit. Da die meisten Religionen des Westens aber kein Konzept von Wiedergeburt haben, sind sich Anthroposophen und Buddhisten da besonders nahe und der Dialog sehr wertvoll.

Zumal beide auf Geistesschulung setzen.

Ja. Angesichts der Tatsache, dass Religionen im Westen heute oft ziemlich veräußerlicht sind – also auf reine praktische Nächstenliebe setzen –, sind sich die Anthroposophie, von Steiner ausdrücklich Geisteswissenschaft genannt, und der Buddhismus sehr nahe. Auch bei Steiner steht, wie im Buddhismus, die innere Schulung im Zentrum. Und wie der Buddhismus lehrt die Anthroposophie konkrete Übungen, wie man den Geist schult. Nicht dieselben, aber es geht ja um die Grundidee, am eigenen Geist zu arbeiten und zu umfassend ethischem Verhalten zu kommen. Solche systematischen Schulungswege gibt es im Westen relativ wenig.

Auch nicht im Christentum?

Es gibt im Christentum sicherlich auch Meditation, zum Beispiel in katholischen Klöstern. Aber die systematische Meditation ist heutzutage nicht mehr so stark überliefert. Da können Anthroposophie und Buddhismus vielleicht helfen, solche Techniken wieder näherzubringen.

Wobei Steiner beim Meditieren eine Art „Hellseher-Organ“ schulen wollte, um in geistige Welten vorzudringen. Diesen Ehrgeiz hat der Buddhist nicht, oder?

Die Buddhisten sprechen nicht so dramatisch von besonderen „Organen“, sondern von Geistesschulung. Aber es läuft auf etwas Ähnliches hinaus: Man will höhere Einsichten in die Realität gewinnen. Das nennt man im Buddhismus yogische bzw. höhere Wahrnehmung. Allerdings geht es im Buddhismus nicht zentral darum, dass man Wunderkräfte entwickelt und weit Entferntes sehen kann. Vielmehr soll man innere Kräfte wie Mitgefühl und Weisheit entwickeln.

Trotzdem klingt Steiners „Geheimlehre“ mit „Hellsichtigkeits“-Übungen erst mal spannender als der Buddhismus, der langwierig Güte und Mitgefühl kultiviert.

In der Tat neigt der Buddhismus zu einer gewissen Nüchternheit. Es geht nicht darum abzuheben in besonders selige Zustände, sondern darum, dass man erkennt, wie die Dinge sind.

Steiner spricht außerdem von der Akasha-Chronik der geistigen Welt. In ihr sei das Schicksal der Welt und aller Wesen festgeschrieben. Wie steht der Buddhismus dazu?

Akasha-Chronik ist kein buddhistischer Ausdruck. Inhaltlich kann es aber auch im Buddhismus sein, wenn jemand geistig sehr weit entwickelt ist, dass er das Karma – die durch Handlungen früherer Leben gesäten Veranlagungen – erkennen kann. Es gibt auch so etwas wie kollektives Karma. Das heißt, dass Menschen, die gemeinsam was getan haben, eine gemeinsame Neigung entwickeln und gemeinsame Dinge erleben.

Aber ist die Idee von „Karma“ nicht genauso abgehoben wie die der Akasha-Chronik?

Foto: privat
Oliver Petersen

55, Tibetologe und Philosoph, war 13 Jahre lang buddhistischer Mönch am Tibetischen Zentrum Hamburg, wo er bis heute Studienkurse leitet und den interreligiösen Dialog fördert.

Eigentlich nicht. Karma bedeutet, dass man durch das, was man tut, im Bewusstsein Anlagen legt. Forscher nennen das heute Neuroplastizität: Jeder Gedanke, jedes Gefühl hinterlässt Anlagen. Aufgrund dieser Anlagen konstruiert man die Welt, wie man sie erlebt. Die Welt, die man erfährt, ist stark von unserem Geist abhängig. Das ist das Wesen von Karma. Wenn man das hochrechnet darauf, dass es nach dem Tod weitergeht, weil der Geist sich fortsetzt, sind wir im religiösen Bereich. Das heißt, dass unsere Handlungen über den Tod hinaus Wirkungen haben.

Bei Steiner gibt es außerdem die Idee der Auflösung der verschiedenen Körperebenen – des Astral- und des Ätherleibs – im Tod. Das tibetische Totenbuch kennt ähnliche Zustände im Sterben.

In der Tat kennt auch die Mahayana-Schule des Buddhismus drei Körper – den geistigen, den feinstofflichen und den grobstofflichen. Wenn wir sterben, tritt unser Geist in einen subtilen Zustand ein und nimmt einen feinstofflichen Körper an, den Bardo-Körper zwischen zwei Leben. Danach nimmt man wieder einen grobstofflichen Körper an, wie wir ihn jetzt haben, und wird neu geboren. Insofern gibt es natürlich gröbere und feinere Formen von Körper und Geist. Das mögen Parallelen zur Anthroposophie sein; verschiedene Systeme bieten ja immer verschiedene Einteilungen. Im Westen sprechen wir auch manchmal von Körper, Geist und Seele. Auch das sind Einteilungsversuche.

Steiner zielt auch auf den Erhalt des Ich als Wesenskern von Geburt zu Geburt. Ein klarer Unterschied zum Buddhismus.

Das kommt darauf an, was man unter Ich versteht. Steiner ist vermutlich einem Missverständnis aufgesessen. Er glaubte, die Buddhisten leugneten das Ich-Gefühl, das Steiner für die Entwicklungsgeschichte der Menschheit so wichtig fand. Dabei bestreitet der Buddhismus gar nicht, dass es ein Ich gibt. Er bestreitet nur einen ständigen und autonomen Ich-Kern. So etwas kann nicht existieren, das bestätigen auch Neurowissenschaftler: dass wir zwar von Ich sprechen, es aber nirgends finden. Dass man als Mensch ein Ich-Gefühl hat, ist aber vollkommen richtig und normal. Man sollte bloß kein egozentrisches Ich-Bild haben. Auch Martin Buber sagt, dass es ein Ich nur gibt, wo es ein Du gibt. Es ist nicht getrennt von anderen. So ein getrenntes Ich-Gefühl haben wir aber. Und das ist erstens sachlich falsch und bringt und zweitens ethisch nicht weiter.

Steiner sagt außerdem: Buddha und Christus arbeiten bereits auf geistiger Ebene zusammen. Glauben Sie das auch?

Ich habe da keine höheren Einsichten, wie Buddha und Jesus zueinander stehen. Ich kann nur sagen, dass die Lehre von Buddha und Jesus starke Übereinstimmungen aufweisen – vor allem im Hinblick auf Gewaltlosigkeit, Liebe und Mitgefühl. Wenn asiatische Buddhisten heute vom Jesus Christus hören, sagen sie: Er ist eine Art Bodhisattva, ein Helfer. Für Buddhisten ist das kein Problem. Das sagt übrigens auch Steiner: In jeder Kultur treten Erleuchtete auf, und es geht nicht darum, wer besser oder schlechter ist. Sondern sie haben jeweils eine bestimmte Aufgabe, die sie entsprechend den Umständen, der Zeit und der Sprache und Kultur vermitteln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen