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Ein bisschen Wahn

Bühne Das Deutsche Theater inszeniert in Berlin Racines Inzest-Tragödie „Phädra“ psychologisch

Eine Griechin mittleren Alters hat einen Haufen Probleme: Der Ehemann ist verschollen. Die Ersatzromanze bleibt vorerst ihre Kopfgeburt, aus Gründen: Der Auserwählte ist halb so alt und ihr Stiefsohn. Außerdem liebt er eine andere. Klingt nach Daily Soap. Es ist keine geworden, zum Glück. Das Deutsche Theater in Berlin brachte Jean Racines „Phädra“ auf die Bühne. Racines Bearbeitung der Euripides-Vorlage wurde 1677 in Paris uraufgeführt und von Schiller reimlos ins Deutsche übertragen.

Der antike Stoff scheint gerade in Mode zu sein: Albert Ostermaiers Fassung „Phädras Nacht“ versetzt am Münchner Residenztheater derzeit die Handlung ins Heute, lässt Eisschollen auf der Bühne zerfließen, integriert rechten Terror und Afghanistan.

Berlin verzichtet auf politische Assoziationen. Hausregisseur Stephan Kimmig arbeitet allgemeine Fragen ab, nach der Beherrschbarkeit von Affekten, nach Schuld, Scham, Moralität: Ist es okay, als Königin den Sohn des eigenen Mannes zu begehren? Wie riskant wird ein Geständnis, wenn der tot geglaubte Gatte plötzlich wieder auftaucht? Und was wiegt schwerer: Loyalität zu den Eltern oder der eigene Weg, die eigenen Gefühle?

Sanft verklemmt grübeln

Mindestens einer muss dabei ja draufgehen. Zunächst erwischt es nicht die manisch-depressiv liebende Phädra (Corinna Harfouch), sondern ihren Stiefsohn. Alexander Khuon interpretiert den Hippolyt als sanft verklemmten Grübler, der in reizvollem Kontrast zu einer burschikosen Aricia (Linn Reusse) steht.

Sie und der heimkehrende Herrscher Theseus (Bernd Stempel) gehen zur Sache: Hier wird nicht überlegt, sondern gegrabscht; der verwirrte Ehrenmann wird geknutscht, ein Hintern, wenn er halt gerade da ist, dusselig betastet.

Was im wahren Leben keine zwei Wochen als Wohngemeinschaft funktionieren würde, greift auf der Bühne perfekt ineinander: Es macht Spaß, dem allgemeinen Spannungsabbau zuzusehen. Hippolyts Tod lässt die unterschiedlichen Charakterzüge letztlich nur noch deutlicher hervortreten. Theseus und Aricia arrangieren sich in Trauer miteinander. Phädra geht in loderndem Schmerz die Wände hoch.

Skaten statt Skandale

Die Übergänge von Akt zu Akt, von Entblößung bis Abfuhr, werden durch wechselnde Perücken visuell unterstützt: Von einer headbangenden Morticia Addams (aus der Serie „Addams Family“) wandelt sich die Phädra zur verschlossenen Vogue-Chefin Anna Wintour mit geföhntem Bob. Auch der Rest des Cast ist elegant ausstaffiert wie das mittlere Management eines Luxusmagazinverlags. Den Bühnenraum bespielen sie wie eine Skaterbahn, rennen auf halbhohe Rampen, oft kommt es zu inszenierten Stürzen, blaue Flecken sind echt.

Nach zwei Stunden hat man ein Stück ohne politische Brisanz, aber nicht ohne Relevanz gesehen. In Zeiten, in denen ein designierter französischer Staatspräsident seine Ehe mit einer zwanzig Jahre älteren Frau zurecht lapidar kommentiert, dass dies wohl weniger öffentlich diskutiert würde, wenn er der Ältere wäre, liegt kein Skandalpotenzial mehr in intergenerationellen Beziehungen.

Doch schon an der Stimme und am grandiosen Mienenspiel von Corinna Harfouch lässt sich ablesen, worum es bei „Phädra“ für alle Zeiten gehen kann: Nur Trieb ist wahllos. Leidenschaft bleibt exklusiv gerichtet. Bekommt man beides in den Griff? Tja. Wenn ja, wird’s todsicher langweilig. Ansonsten manchmal tragisch. Johanna Schmeller

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