piwik no script img

Neue Bewegung statt alte ParteiDer politisch letzte Schrei

Knapp überm Boulevard

von Isolde Charim

Aus Frankreich kommt der Dernier Cri des Politischen: neue Bewegung statt alte Parteien. In Österreich ist dies auch angekommen. Allerdings in einer lokalen Version: als neue Liste, die sich auf eine alte Partei draufsetzt. Die Kommentatoren sind entzückt von der modernen „Hybridform“ und bescheinigen dem Zwitterwesen höchste Attraktivität.

Solch ein Coup tritt zwar mit dem Gestus der Plötzlichkeit auf, aber diese Plötzlichkeit hat eine längere Vorgeschichte. Eine Vorgeschichte, die in die graue Vorzeit der großen Koalition zurückreicht, die einem heute bereits als längst vergangene erscheint. Auch wenn deren Ende noch keine zwei Wochen her ist.

In dieser Vorgeschichte hat sich in einem der beiden, im konservativen Regierungslager eine Subgruppe gebildet: Allen voran mit wehendem Haar Außenminister Kurz, dicht gefolgt vom Innenminister und begleitet vom Klubobmann der ÖVP. Eine paradoxe Quertreiber-Gruppe – gehörte sie doch der Regierung an, die sie gleichzeitig sabotierte.

Ihr Ziel erreicht haben diese Quertreiber, als vor knapp zwei Wochen der bisherige Obmann und Vizekanzler, Reinhold Mitterlehner, entnervt das Handtuch warf.

Das war kein Flügelkampf im Sinne von inhaltlichen Differenzen, von ideologischen Unterschieden. Es war nur ein schäbiger, intriganter Machtkampf. Aber einer, in dem – aufgrund der handelnden Personen – zwei Konzepte von Politik aufeinandergeprallt sind. Der honorige, bürokratische Amtsträger wurde von einer Gruppe selbstgesteuerter Ich-AGs abgeschossen.

Die zentrale Figur dieser Gruppe, Sebastian Kurz, versucht, den charismatischen Typus zu geben. Es ist ihm gelungen, die desolate Partei in den Zustand einer kollektiven Hysterie kippen zu lassen. Ohne erkennbare Leistung sehen sie in ihm ein „Jahrhunderttalent“ und haben sich ihm – man kann es nicht anders sagen – hingegeben. Der alte Machtapparat hat zugestimmt, sich in das Anhängsel der neuen „Liste Kurz“ zu verwandeln. In der österreichischen Version erscheint der Dernier Cri eher als ein Pfeifen aus dem letzten Loch.

Sebastian Kurz ist es gelungen, die desolate Partei in den Zustand einer kollektiven Hysterie zu kippen

Mit dem Zwitter Liste/Partei soll an den Hype um die neue politische Form angedockt werden. Er soll all das austreiben, was an Parteien als verstaubt erlebt wird. Die starren Abläufe, die fixen Hierarchien, der Zwang zur Einordnung, die Geschlossenheit der ehemaligen Gesinnungs- und Solidargemeinschaft.

Der Zwitter bietet dazu den Vorteil, sich nicht wie eine politische Bewegung am freien Markt der Demokratie behaupten zu müssen. Finanziell und organisatorisch kann er ja auf den staatlich subventionierten Parteiapparat zurückgreifen. So soll die Listenform befreit – wenn auch nicht unabhängig – die Partei mit den Segnungen der Bewegung versorgen. Segnungen, die um das magische Wort „Öffnung“ kreisen. Als ob der politische Betrieb von Ehe auf Lebensabschnittspartnerschaft umstellen würde.

Die erste Öffnung ist die des Apparats für Einzelne. Allerdings nur ausgewählte Einzelne. Denn die Öffnung bedeutet die Einführung des Starprinzips in die ehemalige Massenorganisation. Das betrifft nicht nur den Mann an der Spitze, den 30-jährigen Obmann Kurz. Auch die Listenplätze sollen mittels Vorzugsstimmen und Beliebtheitswerten zu einer Art Funktionärsranking werden.

Darüber hinaus bedeutet die sogenannte Öffnung, auch Nichtparteimitglieder einzuladen. Im Unterschied zu einer Partizipation von unten ist diese aber eine Partizipationsform von oben. Der eingeladen Experte ist der neue Lebensabschnittspartner. Als solcher wird dieser von der Illusion getragen – der des neutralen Sachverstands. Als gäbe es ein nicht-parteiisches Wissen, eine rein objektive Kompetenz, für welche man die Übereinstimmung im Bereich der Werte, anders als bei Parteimitgliedern, eben reduzieren könne.

Macron hält diese Offenheit tatsächlich durch, wie die Zusammensetzung seines Kabinetts zeigt. Die Kurze-Liste hingegen hat solch eine Offenheit schon mit ihrem Auftreten verabschiedet. Die Art ihres Antretens hat die bestehende Koalition nicht nur beendet. Sie hat verbrannte Erde erzeugt. Auf dieser blüht keine große Koalition mehr. Ihre Öffnung ist also vor allem eine Abgrenzung. Gegen links.

Die Autorin ist freie Publizistin und lebt in Wien

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen