: Kongeniale Kooperation
Retrospektive Eine Martin-Scorsese-Werkschau im Babylon ist auch Hommage für den Kameramann Michael Ballhaus
von Silvia Hallensleben
Im Herbst 2012 hatte das Arsenal aus Anlass von Martin Scorseses 70. Geburtstag eine Retrospektive des Regisseurs gezeigt. Fünf Jahre später legt nun das Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz mit der nächsten Werkschau nach, auch wenn die zum Geburtstagstermin am 17. November etwas verfrüht kommt. Und weil man sich dort gerne mit Superlativen schmückt, hat irgendjemand ausgerechnet, dass es sich dabei um insgesamt 70 Stunden Film handelt.
Mag sein. Bemerkenswerter ist die Reihe zu diesem Zeitpunkt allerdings aus einem anderen traurigen Anlass, bietet sie doch die Möglichkeit, gleich eine ganze Anzahl von Arbeiten des am 11. April verstorbenen Kameramanns Michael Ballhaus auf der (nach Babylon-Programmankündigung großen) Leinwand wiederzusehen. Ja, diese Woche sieht das Programm – von „After Hours“ bis „Departed“ – schon fast wie eine Ballhaus-Hommage der zwei Dekaden von 1985 bis 2006 aus. Denn, ohne „Dracula“ oder „The Fabulous Baker Boys“ kleinreden zu wollen: Die kongeniale Zusammenarbeit mit dem italo-amerikanischen Regisseur war neben den Fassbinder-Arbeiten sicherlich seine produktivste Schaffensphase – und bei allen Mühen deutlich entspannter als die Jahre mit der Rainer-W.-Familie.
Eine Zusammenarbeit, die (wenn man von einem vorhergegangenen überraschenden Anruf Scorseses bei dem deutschen Kameramann absieht) auch an einem Geburtstag Scorseses begann, als Ballhaus mit einem Blumenstrauß bei dem verehrten Regisseur vor dem Haus stand – und sich schon bald darauf mit 5.000 Komparsen und ungewohnt großem Team auf einem Set irgendwo in Israel wiederfand. Doch der Dreh von „The Last Temptation“ (21. Mai) wurde von der Produktion kurz darauf erst einmal abgebrochen: Zum Glück, wie Ballhaus später erzählt, denn so wurde statt des leicht gigantomanischen Bibelstücks das Low-Budget-Drama „After Hours“ (19., 20., 22. Mai) die erste Zusammenarbeit der beiden – und Ballhaus konnte auch bei Scorsese genau mit dem glänzen, was er in den Jahren mit Fassbinder perfektioniert hatte: schnell und effektiv auch unter widrigen (Licht-)Bedingungen mit so wenig Zeit und Geld drehen, dass der Regen mit einem Schlauch vom Dach gemacht wurde.
Andere Talente konnte Ballhaus bei der nächsten Zusammenarbeit zeigen: dem Billard-Psychodrama „The Color of Money“ (20. und 23. Mai), wo das sportlich bewegte Sujet die perfekte Herausforderung für die technische Kreativität des Director of Photography darstellte und er sich raffinierte Tricks einfallen ließ, um das Spiel mit dem Queue auch aus Perspektive der auf dem Tisch rollenden Kugel zu zeigen. Für eine Einstellung, in der Paul Newman bei sich annähernder Kamera in gleicher Position über dem Filz mit den bewegten Kugeln zu sehen sein sollte, wurde der ganze Billardtisch auf einen hydraulischen Dolly gesetzt und fast unmerkbar langsam hochgefahren.
Ballhaus betonte immer, dass er keinen eigenen Stil habe, sondern seine Arbeit ganz der Erzählung unterordne. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Denn seine Kunst, ohne Schnitt mit der (oft bewegten) Kamera zu erzählen, hat einen eigenen visuellen Stil geschaffen, der wiederum stark auf die Emotionalität am Set zurückwirkt. Für alle Beteiligten (den Kameramann inbegriffen) bedeutete es eine ganz andere Erfahrung, eine Prügelei aus Einzelszenen am Schneidetisch zusammenzusetzen als sie in voller Länge zu inszenieren und zu drehen. In „GoodFellas“ (20. Mai), so berichtet Ballhaus in seinen Erinnerungen, haben diese Brutalität und die dadurch provozierten Spannungen zwischen den Darstellern die Dreharbeiten fast bis zur Unerträglichkeit belastet.
Hatte Ballhaus dort durch ein fast dokumentarisch kaltes Lichtkonzept versucht, die Gangsterläden atmosphärisch zu entromantisieren, setzte er in Scorceses nächstem großen period piece, „The Age of Innocence“ (23.5.), die von dem genialischen Filmarchitekten Dante Ferretti entworfenen Kulissen in mildwarmes Licht. Besonders stolz war er aber auf die Idee, bei einem gestörten Tête-à-Tête zwischen Daniel Day-Lewis und Michelle Pfeiffer die plötzliche Distanzierung der Gefühle durch das Abkühlen der Farbtemperatur zu erzählen und zu diesem Zweck ganz schlicht mit der Hand eine Blaufolie in die Kamera zu schieben. Wenn man es nicht weiß, nimmt man diesen wirkungsvollen Trick bewusst kaum war. Deshalb ist er fast noch schöner als die tolle Copacabana-Fahrt oder der Martha-Dreher.
Retrospektive Martin Scorsese/Michael Ballhaus: Babylon Mitte, 19. 5.–4. 6., Programm: www.babylonberlin.de
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