Doku „Embrace“: Die Kruste langsam aufbrechen
„Du bist schön, so wie du bist“ – das ist die Nachricht, die der Dokumentarfilm „Embrace“ in 87 Minuten immer und immer wieder von der Leinwand sendet. Viel zu banal, um einen Film zu tragen, könnte man meinen. Doch leider brauchen wir im Jahr 2017 genau so einen Film.
Die australische Fotografin Taryn Brumfitt reist in „Embrace“ um die Welt, um mit Frauen über ihr Körpergefühl zu sprechen. Sie selbst trainierte einst monatelang, um ihren „Post Baby Body“ loszuwerden – und war am Ende mit ihrer Traumfigur noch immer unglücklich. Sie nahm wieder zu und postete ein ungewöhnliches Vorher/Nachher-Foto auf Facebook: Eines mit Waschbrettbauch und eines mit Speckröllchen und strahlendem Lächeln. Der Post verbreitete sich zigtausendfach im Netz; Brumfitt beschloss, einen Film zu machen.
Brumfitt trifft eine Frau nach der anderen, führt zahlreiche Interviews. Da ist das Model, das mit Konfektionsgröße 38 als „Plus Size Model“ gilt und erzählt, wie Kolleginnen hinter der Bühne Wattebäusche essen, um das Hungergefühl zu bekämpfen. Der Schönheitschirurg, der eine alternde Brust anguckt und sagt: „Da müssen wir etwas tun.“ Die Moderatorin, die erzählt, was es sie gekostet hat, dünn zu sein: „Es war die schlimmste Zeit meines Lebens“.
Brumfitt zeichnet ein so bekanntes wie fatales Bild der Obsession mit weiblicher Schönheit. Sie beschreibt eine Welt, in der es in den Medien kaum je eine „echte“ Frau zu sehen gibt: Jede winzige Speckrolle wird wegretuschiert. Der Druck auf Frauen, dem gängigen Schönheitsverständnis zu entsprechen, ist enorm. „Bitte, hört nicht auf zu essen“, sagt eine stark magersüchtige Frau den Tränen nahe in die Kamera. „Es ist so schwer, da wieder rauszukommen“.
Der Bart ist schön
Doch „Embrace“ ist mehr als nur eine elende Zustandsbeschreibung – es ist ein Appell. Da ist die Frau mit dem Bart, die sagt: „Andere mögen das anders sehen, aber ich finde mich schön“. Und die Frau, die seit einem Buschbrand über und über mit Brandnarben übersät ist und sagt: „Ich bin so viel mehr als nur mein Körper.“ Die Trans*Frau, die erst nicht zum Shooting kommen wollte und dann erklärt: „Vielleicht hilft das Bild irgendjemandem da draußen.“
„Embrace“ bleibt an der Oberfläche. Doch die Oberfläche, mit der wir es zu tun haben, ist dick und verkrustet – und muss erst mühsam durchbrochen werden. „Ich habe ein Foto von meinem Körper nach der Geburt gemacht und ‚Schön‘ darüber geschrieben“, erzählt eine Fotografin. „Revolutionär, oder?“
Es sind Momente wie dieser, die einem beim Zusehen die Augen feucht werden lassen. Es ist die Vielfalt der Frauen auf der Leinwand, die berührt – denn man findet sich in ihnen wieder. Wir brauchen diese Bilder täglich, überall. Frauen mit Speckröllchen auf Magazincovern, Frauen mit einem Pickel auf der Wange im Fernsehen. „Embrace“ ist nur ein Film, ausgestrahlt an nur einem Tag in deutschen Kinos. Doch er hilft, die viel zu dicke Oberfläche langsam abzutragen. Dinah Riese
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