: Der Spatz vom Hermannplatz
KANDIDATIN IN SPE Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, hat sich in der SPD für die Nachfolge von Klaus Wowereit qualifiziert. Nur nicht mit politischen Erfolgen
■ Eins muss man dieser Koalition lassen: Sie legt Tempo vor. Als SPD und CDU am 23. November 2011 den Koalitionsvertrag unterzeichneten, war Klaus Wowereit noch der unangefochtene Umfragekönig. Seit der BER-Pleite ist er ins Mittelfeld abgestürzt. Aber auch über Koalitionspartner Frank Henkel senkte das Publikum den Daumen, seit er in der Schredderaffäre Handlungsfähigkeit vermissen ließ. Kaum gestartet, schon wieder am Boden: SPD plus CDU = BER und NSU.
■ Wenigstens die Fraktionsvorsitzenden wollen die Ärmel hochkrempeln – Raed Saleh und Florian Graf verkündeten am 24. September launig einen „Herbst der Entscheidungen“. Dem ging aber im Januar der „Winter des Fehlstarts“ voraus. Nach nur 12 Tagen trat am 12. Januar Justizsenator Michael Braun zurück. Keine Schredderaffäre wurde ihm zum Verhängnis, sondern die Schrottimmobilienaffäre. Dem Fehlstart folgte der „Frühling des Nichtstarts“ mit dem BER. Seitdem hat Berlin mit Klaus Wowereit nur noch Mitleid, wenn sein Lebensgefährte, wie am 6. Juni, mit brennender Zigarette im Bett einschläft.
■ Überhaupt passierte das Spannendste bei Rot-Schwarz außerhalb des Senats. Zwei Tage nach dem Brand bei den Wowereits putschte sich der Parteilinke Jan Stöß am 9. Juni gegen den altgedienten Michael Müller auf den Platz des SPD-Landeschefs – und bereicherte die Wissenschaft von der Politik mit einer hübschen Volte: Wenn es schon keine richtige Opposition gibt, muss das eben die SPD gleich miterledigen. Tatsächlich machen Stöß, Saleh und Co. dem Senat mehr Ärger als Grüne und Linke. Bei den Piraten weiß man es noch nicht so genau.
■ Ach ja, der Herbst der Entscheidungen. Den verkörperte am 6. November Innensenator Henkel, als er dem Parlament bekannt gab, dass der Verfassungsschutz handlungsfähig ist – zumindest beim Schreddern von Akten. Das erste Jahr ist also geschafft. Was bleibt, sind die großen Baustellen der Stadt – BER und ICC – sowie ein rapider Vertrauensverlust für Wowereit und Henkel. (wera)
VON ALKE WIERTH
Was für eine Karriere: Gerade mal ein Jahr bekleidet die frühere Haushalts- und Finanzexpertin der SPD-Fraktion, Dilek Kolat, das Amt der Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen – und schon rückt die Option der Wowereit-Nachfolge in den Blick. Dabei ist die Erfolgsstrategie der studierten Mathematikerin, die mit ihren alten Fachgebieten eher in der zweiten Reihe stand, vergleichsweise schlicht.
Man muss nur die Pressemitteilungen der Senatorin auf ihrer Website überfliegen: Dilek Kolat distanziert sich, solidarisiert sich, mahnt an – von häuslicher Gewalt, mit Opfern derselben, zu mehr gegenseitigem Respekt. Dazwischen lädt die Sozialdemokratin gerne zu Fototerminen ein – etwa, wenn sie die Schirmherrschaft über eine Aktion für mehr Zivilgesellschaft oder gegen Gewalt gegen Frauen übernommen hat. Liegt aktuell gar nichts an, nimmt Kolat auch schon mal einen Reporter mit zum Friseur.
Die 45-Jährige bringt damit aber etwas mit, was man unbedingt braucht, um Regierende Bürgermeisterin zu werden. Sie weiß sich publikumswirksam in Szene zu setzen. Dabei wirkt ihr Lächeln manchmal beinahe schüchtern, fast unsicher mancher öffentliche Auftritt. Doch dass Kolat bei aller PR-Kompetenz das Charisma und die bisweilen in Arroganz kippende Nonchalance eines Wowereit fehlen, lässt sie bescheiden und umso sympathischer wirken.
Mit Vorzeigebiografie
Ob die Senatorin, die sich als haushalts- und finanzpolitische Fachpolitikern durchaus Anerkennung erworben hatte, sich auch fachlich für das Amt der Regierenden qualifiziert hat, tritt bei dieser Gemengelage fast in den Hintergrund. Es dominiert die Sympathie, die der Senatorin mit der Vorzeigebiografie eines Berliner Einwandererkinds entgegengebracht wird: Kolat, aufgewachsen in Neukölln, eingeschult ohne Deutschkenntnisse und dennoch eine, die es geschafft hat: ein etwas unscheinbarer, manchmal gar schutzbedürftig wirkender, aber eben auch unverwüstlicher Spatz vom Herrmannplatz.
Natürlich gibt es auch Einwände gegen Dilek Kolat. Die Arbeit ihrer Verwaltung wird von denen, die in Berlin mit Arbeit, Integration oder Frauenbelangen zu tun haben, kaum gelobt. Zu langsam, zu verworren, zu unklar die politischen Strategien, heißt es vielfach. Auch innerhalb ihrer Partei hält sich die einst als Linke Geltende mit klaren Positionierungen mittlerweile zurück. Aus dem Machtkampf zwischen dem alten Parteivorsitzenden Michael Müller – der aus ihrem Bezirk stammt – und dem neuen, Jan Stöß, hielt sich Kolat weitgehend heraus. Gleich zu Beginn ihrer Senatorinnenkarriere bekam sie Krach mit der eigenen Fraktion. Es ging um unterschiedliche Vorstellungen zum öffentlichen Beschäftigungssektor: Fraktionschef Raed Saleh wollte einen Euro mehr Mindestlohn festlegen als die Arbeitssenatorin. Sie gewann.
Als Integrationssenatorin verlor Kolat erst den Integrationsbeauftragten Günter Piening, der kurz nach ihrem Amtsantritt zurücktrat. Bei der Neubesetzung dann legte sie sich mit dem Integrationsbeirat an – dem wichtigsten Mitbestimmungsgremium von EinwanderInnen Berlins.
Doch auch dabei zeigt Kolat Wowereit’sche Qualitäten, nämlich den bürgermeisterlichen Imprägnierschutz: Vorwürfe perlen an ihr ab oder werden weggelächelt, spätestens auf dem nächsten publicitywirksamen Fototermin. Ob das alles reicht, um Regierende Bürgermeisterin zu werden, ist nicht erwiesen und bei den bescheidenen Umfragewerten der SPD möglicherweise auch gar nicht die Frage. Für eine eher aussichtslose Spitzenkandidatur reicht es allemal.