Berliner Szenen: Ein Montag
Der Kümmerer
Ich hatte einen perfekt faulen Tag hinter mir. Ich tat nichts. Ich machte die Steuer nicht zu Ende, ich schrieb den versprochenen Artikel nicht fertig. Ich ging einkaufen, ich saß im Kaffeehaus und las die Zeitungen. Ich hörte Musik, als ich wieder zu Hause war, las ich einen amerikanischen Roman, der in New York spielt. Ich lese nur noch Romane, die in New York spielen. Ich war noch niemals in New York. Es ist vielleicht so, dass mir die Romane die Reise dorthin ersetzen. Denn ich habe nicht vor, nach New York zu reisen.
Aber nach Italien. Ich erinnerte mich an einen italienischen Badeort. Der Geruch nach Benzin in den Autobahnraststätten, den Tankstellen von Agip. Der Geruch nach Honigmelonen, nach aufgeschnittenen Wassermelonen. Der Geruch eines frisch gebrauchten Handtuchs. Das Gefühl, in Badelatschen über Steinboden zu gehen, das Gefühl, Sand in die Kantine zu tragen. Die Jukebox mit Prince und Madonna und italienischen Schlagern. Die Spaghetti, die ein Hauptgericht waren für uns und die wir mit Gabel und Löffel aßen, deutsche Banausen, die wir waren.
So ein Tag war das. Abends traf ich mich mit einer Frau, mit der ich einmal geschlafen hatte. Eigentlich mehrmals, aber von heute aus gesehen war es nur dieses eine Mal gewesen. Wir waren nicht füreinander bestimmt gewesen. Ich hatte eine Rolle, die ich ausfüllen sollte, jedenfalls kam es mir so vor. Die Rolle eines Kümmerers, die Rolle eines sich um die Dinge und die Frau kümmernden Manns.
Diese Rolle behagte mir nicht. Ich glaube, dass ihr jetziger Freund diese Rolle spielt. Er passt haargenau zu ihr, und sie ist glücklich, auch wenn sie immer noch an einen anderen Mann denkt, ihre verlorene amour fou, die aber ebenfalls nicht ich bin.
Das war der Montag. Der Dienstag war anders.
René Hamann
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