Chiemgauer Oberkrainer

PFEILGRAD La Brass Banda spielen Tuba statt E-Gitarre, tragen Lederhosen statt Jeans, haben aber mit Volkstümeleien nichts am Hut. Im Ausland werden sie als Popband rezipiert

Für Bayern sind La Brass Banda jetzt schon das, was Seeed und Peter Fox für Berlin geworden sind

VON DANIEL BAX

Bayern haben in Berlin traditionell keinen leichten Stand. Fans des FC Bayern müssen ihren Neigungen im Verborgenen nachgehen und Preuße ist hier nicht unbedingt ein Schimpfwort. Doch von Animositäten ist nichts zu spüren an diesem Abend, an dem sich eine junge Partycrowd vor dem Lido-Club in Berlin-Kreuzberg drängt, weil dort La Brass Banda angekündigt sind.

Die fünf Musiker vom Chiemsee stehen für bayrische Folklore der anderen Art. Wie ein Spielmannszug laufen sie zum Konzertstart von hinten in den Saal ein und haben ihn, kaum dass sie barfüßig auf der Bühne stehen, mit Tuba, E-Bass und Trompete zum Tanzen gebracht. Sänger und Trompeter Stefan „Sepp“ Dettl rappt, flachst und jodelt im bayrischen Dialekt, die Tuba pumpt technoide Bässe, dazu werden Popzitate von Daft Punk über 10 CC bis Beyoncé eingestreut. Ein bärtiger Bayer im weißen-blauen T-Shirt stürzt sich – angestachelt von der Blasmusik – mehrmals zum Stagediven ins Publikum.

Am Ende des Abends, der alle Bayernklischees bestätigt und doch durcheinanderpustet, steht die Erkenntnis: Tuba ist die neue E-Gitarre. Und: Lederhosen sind der letzte Schrei.

Am Nachmittag waren Stefan „Sepp“ Dettl und Posaunist Manuel „Manu“ Winbeck noch in Jeans und Sneakers zum Treffen im taz-Café aufgetaucht, um von den Vorzügen der bayrischen Lederhose zu schwärmen: „Man muss sie nicht nach jedem Konzert wechseln“, lobt Sepp trocken, „sie bleiben immer frisch“.

Schweinebraten zum Start

Der Trachtenlook ist natürlich nicht nur praktisch, er ist vor allem ein Statement. La Brass Banda kokettieren gern mit ihrer ländlichen Herkunft. Die Jungs stammen alle aus Südbayern, sind mit volkstümlicher Musik, Pop und Klassik aufgewachsen, haben fast alle Musik studiert und teils in Sinfonieorchestern, teils in Jazzbands gespielt, bevor sie ein neues Ziel berauschte: Blasmusik nicht nur für Bierzelte und die Dorffeste der Feuerwehr, sondern für die Clubs und Rockbühnen der Welt zu machen.

Der Gründungslegende nach fand man sich erstmals im Februar 2007 beim Schweinebraten zusammen: Sepp, Manu, Andreas „Hans“ Hofmeir an der Tuba und Drummer Manuel Da Coll alias „Yossarian“. Später kam Bassist Oliver Wrage hinzu, der sich bis dahin als Techno-DJ und Cutter bei MTV acht Jahre lang in Berlin herumgeschlagen hatte.

Danach ging alles ganz schnell: Nach dem Albumdebüt „Habediehre“ und rund 200 Konzerten, die sie von Roskilde bis nach Simbabwe führten, liegt jetzt der Zweitling „Übersee“ (Trikont) vor. Der Titel bezieht sich auf den gleichnamigen Ort am Chiemsee, in dem das Aufnahmestudio von La Brass Banda steht. Andererseits spielt er auf ihre Weltläufigkeit an, die sie bayrische Folklore, Balkansounds, Reggae und Funk meistern und auch vor Mariachimelodien, Big-Band-Funk und New-Orleans-Jazz nicht zurückschrecken lässt. Schon der Bandname ist eine Promenadenmischung: eine Kreuzung aus Brass Band, wie die Arbeiterblaskapellen in den nordenglischen Kohlerevieren heißen, und der italienisch-spanischen Bezeichnung für Bläserensembles, La Banda.

Die Balkanwelle, von osteuropäischen Blaskapellen und heimischen Szenestars wie DJ Shantel und Miss Plantum angestoßen, hat La Brass Banda den Boden bereitet – einem Bläserprojekt aus einem Bundesland, das sich für viele Deutsche als eine Art innerer Balkan darstellt. Seine ersten Schritte machte Stefan Dettl nicht mit bayrischer Volksmusik, sondern einst gemeinsam mit dem DJ-Team International Bohemia, mit Balkansounds. Auch wenn sich La Brass Banda von diesen Anfängen längst entfernt haben, so hat sie dieser Einfluss doch geprägt. Mit Pauken und Trompeten in Clubs einzufallen wie Fanfare Ciocarlia & Co, „das war neu für uns“, gesteht Dettl. Erste Konzerte führten La Brass Banda auch ins blechbläserversessene Bosnien, wo sie spontan umjubelt wurden. „Das war wie ein Ritterschlag für uns.“

Tournee durch Skihütten

La Brass Banda können sich erstaunlich gut vermarkten. So tuckerten sie im EM-Sommer mit einem alten Traktor und auf Zündapp-Mopeds nach Wien, um unterwegs auf Straßen, Marktplätzen und Fanmeilen aufzuspielen. Und im letzten Winter unternahmen sie eine Skihüttentour, die sie durchs alpine Dreiländereck Bayern, Österreich und Schweiz führte. Ein 30 Jahre altes Feuerwehrauto dient ihnen als Tourbus, und ihre Instrumente müssen „weniger als 100 Euro kosten, aber mindestens 100 Jahre alt sein“, so das Motto. Das Bandlogo ist ein Kuhkopf im Sprayschablonen-Look, Schlagzeuger Manuel besprüht sogar Trachtenjanker mit dem Motiv.

Was La Brass Banda auszeichnet, ist auch ihr Umgang mit ihrem Dialekt, dem kehlig-kernig gesprochenen „Kheahmgauerisch“. „Für uns macht es mehr Sinn, eine Sprache zu verwenden, wo du jede Nuance kennst, als auf englische Floskeln zurückzugreifen“, meint Dettl. Zumal diese Sprache sehr musikalisch ist: Wenn Dettl seinen Sprechgesang anstimmt, klingt der Zungenschlag seiner Region wie ein entfernter Bruder des jamaikanischen Patois oder des Rapslangs aus Brooklyn.

Mit ihrem schlüpfrig-derben Humor zeigen sich La Brass Banda in bayrischer Tradition verwurzelt, ihre Stücke tragen Titel wie „Bierzelt“, „Ringlbleame“, „Bauersbua“ oder „Aussenriess“ („Bin a Musikus, a liaba, pack de Töchter glei beim Miada“). Doch dahinter steckt ein postmodernes Selbstverständnis. „Unser Folk wurzelt im Pop“, bringt es Stefan „Sepp“ Dettl auf den Punkt.

Triumphzug in München

Wie es sich für bodenständige Jungs aus der Provinz gehört, haben sie zu ihrer Landeshauptstadt ein gespaltenes Verhältnis. „München ist furchtbar“, findet Manuel Winbeck. Bezeichnenderweise bekamen La Brass Banda ihren ersten Auftritt dort erst, nachdem sie schon Gigs in London gespielt hatten. Doch mittlerweile ist es ihnen gelungen, auch die Metropole zu erobern: Zum Start ihrer aktuellen Tournee zogen La Brass Banda wie im Triumphzug mit einer 70 Mann starken Trachtenkapelle im Circus Krone ein, der Saal war dreimal in Folge ausverkauft.

Von diesem Andrang sind La Brass Banda noch immer überrascht. „Wir stehen für ein bestimmtes Lebensgefühl“, sucht Manuel Winbeck nach den Gründen für die erstaunliche Resonanz. „Vor dieser Situation stehen doch viele: dass sie aus einem bodenständigen Umfeld kommen und an unsichtbare Grenzen stoßen.“ La Brass Banda pusten diese Grenzen einfach weg. Oder, wie sie selbst sagen würden: „Wir scheißn uns nix.“

Damit sind La Brass Banda für Bayern jetzt schon das, was Peter Fox und Seeed für Berlin geworden sind: Bekennende Lokalpatrioten. Dieser Tage sind sie in englischen Clubs unterwegs. Und dass der bayrische Regisseur Marcus Rosenmüller („Wer früher stirbt, ist länger tot“) gerade eine Dokumentation über sie dreht, wird ihren Ruhm sicher noch weiter mehren.