Seelen in Trümmern

FILMREIHE Das Zeughauskino versammelt Varianten überirdischer Fluchten des Kinogängers in der frühen Bundesrepublik

In Bernhard Wickis „Das Wunder des Malachias“ (1960–61) kämpft ein Pater gegen eine Nachtbar Foto: Deutsche Kinemathek

von Fabian Tietke

Vor Publikum stellt der Wahrsager Sylvio Sylvestro einen Mann mittleren Alters mit einer Episode aus dessen Vergangenheit bloß. Dann tritt das Rummeltreiben eines Klassentreffens schnell in den Hintergrund in Wolfgang Staudtes „Schicksal aus zweiter Hand“. Die Trümmer seines ehemaligen Lebens verbinden den Wahrsager mit dem Bloßgestellten. Beide gingen in dieselbe Klasse, beide waren im Begriff, sich kurz nach der Jahrhundertwende in ihren bürgerlichen Existenzen einzurichten, als es Sylvestro, der mit bürgerlichem Namen Michael Scholz heißt, zu einem Wahrsager verschlägt. Dessen Weissagung, Scholz werde seine junge, schöne Frau verlieren, beginnt den jungen Mann zu verfolgen. Schließlich ermordet Scholz seine Frau, kommt ins Gefängnis und baut sich als Wahrsager ein neues Leben auf. Die Trümmer eines Lebens, der Unwille zur Erinnerung, die verhängnisvolle Weissagung eines Scharlatans – das sind die Elemente, aus denen Staudtes „Schicksal aus zweiter Hand“ gebaut ist.

Seelennot, so der Titel der Filmreihe, in der der Filmtausendsassa Olaf Möller seine Erkundung des Kinos der Bundesrepublik aus der Adenauerzeit, die letztes Jahr in der Retrospektive des Filmfestivals in Locarno begannen, im Berliner Zeughauskino fortsetzt. Die Reihe versammelt die verschiedensten Varianten des Überirdischen, bei dem die Kinogänger der frühen Bundesrepublik Zuflucht fanden. Sei es die religiöse Opposition gegen den Vernichtungskrieg, die der ehemalige Widerstandskämpfer Falk Harnack in „Unruhige Nacht“ beschwört, in dem ein Kriegspfarrer einem zum Tode verurteilten Beistand leisten soll; seien es die christlich-existenzialistischen Erfahrungen kriegsgebeutelter Existenzen in einem Krankenhaus in der frühen Nachkriegszeit, die Harald Brauns „Nachtwache“ entfaltet.

Klug hat Möller die Reihe um das Skelett einiger Filmpaare arrangiert: So drehte Bernhard Wicki, der den Frontpfarrer in Harnacks „Unruhige Nacht“ spielte, in der Wirtschaftswunder-BRD das satirische Zeitbild „Das Wunder des Malachias“ um den Kampf eines Paters gegen eine nahegelegene Nachtbar. Von Harald Braun zeigt die Reihe neben „Nachtwache“ das Mysterienspiel „Der fallende Stern“ um das Okkultismusfieber rund um die Wiederkehr des Halleyschen Kometen 1910. Es ist ein Verdienst der Reihe, dass sie sich nicht auf die christlichen Deutungsangebote im BRD-Kino der Nachkriegszeit beschränkt. Denn während diese Halt versprechen, wirken andere Manifestationen des Überirdischen sozial und individuell erschütternd.

„Nachtwache“ erzählt von christlich-existenzialistischen Erfahrungen

Der Unterhaltungsroutinier Arthur Maria Rabenalt, der seinen während des Nationalsozialismus begonnenen Balanceakt zwischen politischen Stoffen und Unterhaltung auch nach dem Krieg fortsetzte, drehte im Sommer 1952 „Alraune“. Der Film basiert auf einem Roman Hanns Heinz Ewers, der bereits in den 1910er, 1920er und 1930er Jahren adaptiert wurde. Rabenalt besetzt die Hauptrolle der in künstlicher Befruchtung gezeugten magisch anziehenden Alraune mit dem Sexsymbol der BRD, mit Hildegard Knef.

„Alraune“ ist voll von Wirtschaftswundersymbolik (Alraune findet eine Mineralquelle, die umgehend zu Geld gemacht wird) und von Männern, die von der Erotik Alraunes in Angst und Schrecken geschlagen werden.Es fällt auf, dass Rabenalt seinen Film nicht in historische Zeit versetzt. Denn blickt man auf die Filme der Reihe, ist die Vorliebe, okkulte Stoffe in historische Zeiten zu entrücken, offensichtlich. Das gilt für Staudtes „Schicksal aus zweiter Hand“ ebenso wie für Brauns „Der fallende Stern“. Der letzte Film der Reihe, „Die Hexe“ vom Wiener-Schmäh-Routinier Gustav Ucicky, scheint das nochmals zu bestätigen. Ucickys Film kreist um die rothaarige (!) Maria, die seit ihrer Kindheit als uneheliches Kind eines Grafen, der ihre Gegenwart eingangs als „personifiziertes schlechtes Gewissen“ bezeichnet, besondere Fähigkeiten zeigt. Zur jungen Frau herangewachsen, beunruhigen ihre Hellseh-Anfälle die k. u. k. Gesellschaft. Maria sieht erst einen Mord auf dem Gut des österreichischen Thronfolgers und dann das Attentat von Sarajevo voraus. Ahnungen der Vergangenheit werfen ihre Schatten eben manchmal auch voraus.

Seelennot. Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963, Zeughauskino, 26. 5.–30. 6.