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Archiv-Artikel

Beton frisst täglich hundert Hektar Boden

UMWELT Obwohl die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesrepublik zum Ziel hat, bebaute Flächen schrittweise zu verringern, nehmen diese wieder zu. Experten fordern nun eine Neuausrichtung der Bodenpolitik

BERLIN taz | Die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland hat binnen den letzten vier Jahren um 3,3 Prozent zugenommen. Wie das Statistische Bundesamt berechnete, entspricht das einem täglichen Verlust von 104 Hektar Land – 149 Fußballfeldern. Im Vergleich zum Zeitraum 2001 bis 2004 ging der Flächenverbrauch damit leicht zurück: Damals waren noch täglich 115 Hektar Siedlungs- und Verkehrsfläche hinzugekommen.

Allerdings: Diese Zahl ist nicht hundertprozentig mit Beton gleichzusetzen. In die Statistik geht auch nicht versiegelter Boden wie Vorgärten oder Sportplätze ein, weil er für andere Nutzungen nicht mehr zur Verfügung steht.

Die Statistiker halten auch eine gute Nachricht bereit: Vergleichsweise naturnahe Flächen wie Wald und Gewässer nehmen wieder zu. Zurückzuführen ist das auf die Renaturierung von Tagebaufolgelandschaften besonders im Osten. Johannes Enssle, Waldexperte des Naturschutzbundes Nabu, gibt als weitere Gründe für die Zunahme Neuaufforstungen und Verwilderung nicht mehr genutzter Felder an. Die Landwirtschaft nämlich verzeichnet einen Rückgang ihrer Nutzfläche. Der Waldzunahme steht jedoch ein ungefähr doppelt so großer Flächenverlust durch Verkehrs- und Siedlungsprojekte gegenüber.

Der Flächenverbrauch ist eine kritische Größe in der Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands. In dem Papier aus dem Jahr 2000 wurde das Ziel formuliert, bis 2020 nur noch 30 Hektar täglich zu bebauen. Tatsächlich sank der Flächenverbrauch, nachdem er 2000 seine Höchstmarke erreicht hatte. Zumindest teilweise ist das auf die Neuregelung der Pendlerpauschale und das Auslaufen der Eigenheimzulage zurückzuführen. Dadurch verlangsamte sich besonders die Bildung der sogenannten Speckgürtel um Ballungszentren.

Zwar bekennen sich CDU und FDP im Koalitionsvertrag zur Nachhaltigkeitsstrategie, die Details im Koalitionsvertrag lesen sich jedoch zum Teil deutlich anders. Vor allem die Bundesländer sollen mehr Kompetenzen und damit größere Freiheiten bekommen, ihre Gesetze und Verordnungen zu lockern: Bisher müssen Bauträger in der Regel neu bebauten Grund durch konkrete Ausgleichsflächen kompensieren. In Zukunft soll es ebenso möglich sein, Kompensationszahlungen zu leisten. Ein verlockendes Angebot für klamme Kommunen.

Zudem will Schwarz-Gelb das versiegelungsintensive Straßensystem weiter ausbauen. Werner Reh, Verkehrsexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz, bezeichnet deshalb das regierungsamtliche Bekenntnis zur Nachhaltigkeitsstrategie als „reine Lyrik“: „Die Ziele des Nachhaltigkeitsplans werden mit diesen Maßnahmen wahrscheinlich nicht erreicht.“ Im schlimmsten Fall sei ein wieder steigender Flächenverbrauch zu erwarten.

Professor Franz Makeschin, Bodenkundler an der TU Dresden und Vorsitzender der Komission Bodenschutz am Umweltbundesamt, schätzt die Lage ebenfalls als schon dramatisch ein. Das Problem sei vor allem die Zerstörung funktionsfähiger Böden: „Hier ist eine rote Karte nötig! Es muss ein großes gemeinsames Konzert der Akteure aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft geben, sonst sind die Ziele nicht erreichbar.“ Geboten sei eine Wiederverwendung bereits zerstörter Böden.

KLEMENS KÖHLER