: Bremer Jakobus-Haus ist zu groß
OBDACHLOSE Die innere Mission betreibt ein Haus, in dem Obdachlose, Alkoholiker und psychisch kranke Menschen eine Anlaufstelle finden. Eine „Bausünde aus den 70ern“ sei das achtstöckige Haus, so Kritiker, in dem Problemgruppen „übereinander gestapelt werden“
Die Innere Mission schätzt die Zahl der Obdachlosen in Bremen auf 300 – 500 Personen. 108 Plätze stehen in vier Notunterkünften zur Verfügung, etwa 100 Plätze in Einfachhotels wurden 2008 für Obdachlose genutzt.
Im Verlaufe des Jahres 2008 haben in Bremen 548 alleinstehende Männer und 136 Frauen die Notunterkünfte genutzt. Die Hälfte der Betroffenen verbrachten nicht mehr als drei Tage in der Notunterkunft, ein Viertel der Betroffenen bis zu vier Wochen. Längere „Verweilzeiten“ gibt es bei Drogenabhängigen – diese Gruppe macht etwa ein Drittel der „Kundschaft“ aus.
Die vorhandenen Einrichtungen reichen aus, insbesondere auch die 25 zusätzlichen Winterschlafplätze im Jakobushaus, teilte der Senat auf eine Kleine Anfrage mit.
Von KLAUS WOLSCHNER
Rund um ihren Bahnhof gibt sich die Großstadt zu erkennen. In Bremen ist da das Rotlicht-Milieu konzentriert, die Disco-Meile mit ihrem Flirt- und Gewalt-Potential, eine große Drogenberatungsstelle lockt ihr Klientel – und wenige hundert Meter weiter haben es sich – auf Bahngelände – Dutzende von Bauwagen-Bewohnern hinter einem großen Palisaden-Zaun gemütlich gemacht. Und da ist auch, seit 25 Jahren, das achtstöckige „Jakobus-Haus“ der Inneren Mission, die hier im Auftrag der Stadtgemeinde diverse Hilfeangebote insbesondere für Obdachlose bereit hält.
Das Haus stammt aus den 70er Jahren, die innere Mission hat Sanierungsbedarf angemeldet, Heizung, Fenster, es ist die Rede von 3,5 Millionen Euro. „Wenn man so viel Geld in die Hand nimmt“, sagt Volker Busch-Geertsema, ein Experte im Bereich Sozialpolitik, „dann sollte man sich verabschieden von einem Konzept, das nicht mehr zeitgemäß ist.“ Das Haus sei eine „Bausünde aus den 70er Jahren“.
Busch-Geertsema ist ein anerkannter Experte, er ist der Kopf der „Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung“, die seit Jahren unter anderem die Stadt Bremen im Bereich der Sozial-, Wohnungs- und Gesundheitspolitik berät. Im Jakobus-Haus würden die Menschen mehrere Stockwerke hoch „übereinander gestapelt“, Wohnungslose mit Menschen, die Alkoholprobleme hatten, aber trocken sein wollen, dazwischen sitzen andere, die psychische Probleme haben. Das Haus sei zudem umringt von großen Verkehrsadern und Bahngleisen, es gibt keine Nachbarn. Kurz: „Mit Sicherheit ist das nicht besonders integrationsgeeignet.“ Die Alternative ist klar: „Man sollte dezentrale, kleine Einheiten schaffen“, sagt Busch-Geertsema. In anderen Städten habe man sich längst von solchen großen Häusern verabschiedet. Duisburg hatte ein Haus am Hafen, das ähnlich ausgesehen hat – das gibt es nicht mehr. Für Wohnungslose etwa wäre es wichtig, sie in normale Wohnungen zu vermitteln und dort „begleitende Hilfen“ zu stellen. Das wäre jedenfalls ein „Ansatz, mit dem Normalisierung der Lebensverhältnisse mit Aussicht auf Erfolg vorangetrieben werden kann“.
Insgesamt 45 Betten einer „Notaufnahme“ gibt es in dem Jakobus-Haus, dazu 25 Plätze „Winterhilfe“ für Obdachlose, die normalerweise im Freien schlafen wollen. Eine Etage ist mit 32 Plätzen als „sozialtherapeutisches Übergangswohnheim“ mit Sozialpädagogen ausgestattet, die „siebte“ Etage wird von trockenen Alkoholikern bewohnt, die nach einer „Entgiftung“ in der Klinik hier übergangsweise wohnen können, bis sie eine eigene Wohnung finden. Was nicht so einfach ist, seitdem die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sich gegen solche Wohnungsnotfall-Bewohner sperren und auch die Sozialbindung vieler Wohnungen ausläuft. In der Parterre-Etage gibt es mit dem „Jakobus-Treff“ ein Café mit Fernsehen und Internet-Anschluss, mittags ein preiswertes warmes Essen, Bratkartoffeln und Spiegelei. Es gibt Frühstück und Abendbrot – da können sich alle treffen. „Ich sehe da keine Probleme“, sagt Jochen Plate, der Leiter des Jakobushauses, „das läuft gut so.“ Und wo hat man schon alle wichtigen Angebote unter einem Dach – auch ein Arzt ist im Haus. 1975 sei das Haus mit seinem Konzept „führend in der Bundesrepublik“ gewesen. Der Vorteil gegenüber anderen Angeboten: Die Menschen der Notübernachtung können tagsüber im Haus bleiben.
Bei der Inneren Mission ist Wilhelm Albers zuständig für das Jakobus-Haus. „Im Moment läuft der Entscheidungsprozess“, sagt er zum Thema Sanierung. Es werde auch neu überlegt, welchen Bedarf es gibt. Die Kritik an der Größe des Hauses kennt er: „Diskutiert wird das überall.“ Auch in Stuttgart, wo es ein ähnlich großes Haus, 14 Stockwerke hoch, gibt. „Da haben wir eine ähnliche Problematik“, sagt Albers, die Evangelische Obdachlosenfürsorge ist dort zuständig. Von der Politik werde immer Integration gefordert – und dann gebe es ein „hohes Maß an Abgrenzung in der Bevölkerung“, auf dass die Politik empfindlich reagiere. Eine Etage für Obdachlose in Schwachhausen? Die Innere Mission hätte nichts dagegen, „aber da könnte es Widerstände geben“. Der Vorteil des bisherigen Standortes sei eben „das tolerante Umfeld hier“, sagt Albers. Dass die Lage „nicht integrationsfördernd“ sei, das sei klar.
Letztlich entscheiden muss die Sozialbehörde. Nicht nur wegen der Konzept-Frage, die Bausanierung müsste auch über die „Pflegesätze“ von der Stadt finanziert werden. Auch könnte die Stadt die Innere Mission schlecht auf der Immobilie sitzen lassen – die Innere Mission hat das Hauses in Erbpacht auf 99 Jahre gekauft. Die Diskussion, was aus dem Haus werden soll, werde „seit längerer Zeit“ geführt, so Petra Kodré, die Behördensprecherin, eigentlich soll es verkleinert werden. Aber welche Nutzung könnte für einzelne Etagen gefunden werden? Das ist die Frage. „Es wird nach Ideen gesucht“, sagt Kodré. Vor allem würden die Übernachtungssätze für die Sozialbehörde zu teuer, wenn die Kosten einer aufwändigen Instandsetzung der Immobilie draufgeschlagen würden.