MODERNE MYTHEN : Die Prenzl-Zwerge
Der Prenzlauer Berg hat’s auch nicht leicht. Beladen mit Mythen – die Hinterhofkultur der DDR-Oppositionellen! Der kinderreichste Bezirk Deutschlands! –, aufgestiegen zum Szene-Bezirk, verlassen von den angestammten Bewohnern. Und nun auch noch gehasst wegen der „Porno-Schwaben, die hier alles aufkaufen“. Hört man zumindest, schreibt zumindest die zitty, erzählt man sich zumindest auf Partys. Aus dem Dunstbereich der medialen Mythen ist der (wohlhabende, bürgerliche, zum Kreativen-Pack gehörende) Zugezogene jetzt in den Mythengrund der urbanen Kommunikation eingegangen. „Schwaben, verpisst euch!“, sprang mir bei der Bernauer Straße getaggt ins Auge.
Unbeliebter als der zugezogene Bionade-Schwabe ist nur noch sein verzogener Nachwuchs. Hört man zumindest, erzählt man sich auf Partys. Meine Portugiesischlehrerin ereiferte sich in der letzten Stunde statt über Kinderarmut in Brasilien über antiautoritär erzogene Prenzl-Zwerge in Berlin: „Und stell dir vor, da setzt doch diese Frau im Bio-Supermarkt ihre kleine Tochter auf das Kassenband. Die schnappt sich eines dieser Dinger, um die Waren abzutrennen, und haut damit der Kassiererin auf den Kopf. Und was sagt die Mutter dazu, statt durchzugreifen? ‚Charlotte-Sophie, das war aber nicht nett!‘“
Meine zweitliebste Geschichte: das Druckmittel der Lifestyle-Eltern. Eine Freundin erzählt amüsiert von einer Beobachtung am Kollwitzplatz. Die Mutter leise mahnend zum bockenden Sohn: „Leon, wenn du jetzt nicht brav bist, dann gibt’s heute kein Mango-Lassi!“
Meine Lieblingsgeschichte ist aber die vom kleinen Prenzl-Zwerg im Winter, der die ersten Schneeflocken seines Lebens mit dem Lebensstil seiner Latte-Macchiato-Eltern in Verbindung bringt: „Schau mal, Mama, da fällt Milchschaum vom Himmel!“ MIRIAM JANKE