WOCHENSCHNACK
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Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Völkerrecht im freien Fall?

Es knallt zu viel? zu wenig? Bomben und Gefühlsdemonstrationen – Washington, Pjöngjang und der Pulse of Europe

Protest in New York Foto: ap

Enttäuscht

betr.: „Warum der Luftschlag richtig war“, taz vom 8./9. 4. 17

Welch Abstieg: Statt einer vorsichtigen Suche nach den wahren Hintergründen – das wäre Aufgabe einer kritischen Presse gewesen, und dadurch hat sich die taz auch über Jahre hervorgetan – ergreift die taz nun nicht nur Partei in diesem Krieg für dubiose „Freischärler“, „gemäßigte Terroristen“, sondern erwärmt sich sogar für den „Luftschlag“ der US-Strafrichter. Ich bin tief enttäuscht! Statt den Bombenangriff auf der Titelseite vom 8. April zu begrüßen, hätte eine kritische Antwort der taz als kritischer Zeitung gutgetan. Es hätte auch diese Antwort auf der Titelseite erscheinen können: Den Krieg in Syrien kann man nicht mit Krieg beenden, sondern nur mit einer sehr intelligenten Diplomatie, die möglichst viele Interessen berücksichtigt. Der Militärschlag der USA war völkerrechtswidrig, denn weder hatte Syrien die USA militärisch angegriffen, noch gab es einen Beschluss des Sicherheitsrats der UNO, der dies genehmigte. Der vorhergegangene Giftgasangriff war ein schweres Kriegsverbrechen, aber es sollte doch wohl erst ermittelt werden, wer dafür die Verantwortung trägt. Wie kann man es für legitim halten, schon vor einer Aufklärung zu bombardieren? Und wer bitte hat eigentlich die USA zum höchsten Strafrichter der Welt ernannt, der zu solchen „Strafen“ befugt ist? Die USA und Russland, die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran und vor allem auch die unterschiedlichen Seiten in Syrien müssen endlich einen Kompromiss finden, damit alle mit dem Krieg aufhören im Interesse der völlig unschuldigen Zivilisten, die immer wieder von Tod, Verletzung und Vertreibung betroffen sind. MANFRED JENTZEN, Flörsbachtal

Völkerrecht

betr.: „Warum der Luftschlag richtig war“, taz vom 8./9. 4. 17

Es ist völlig unklar, wer aus welchen dunklen Ecken Giftgasmunition hervorholte und damit hundertfach Mord und Krankheit verursachte (Bruch des Völkerrechts). Und mir ist völlig unklar, warum die taz-Redaktion es Chefredakteurin Barbara Junge auf der Seite eins erlaubt zu behaupten, der US-amerikanische „Luftschlag“ sei „richtig“ gewesen (Bruch des Völkerrechts).

PETER BETHKE, Eutin

Abschreckung

betr.: „Pjöngjangs gefährliche ­Entschlossenheit“, taz vom 6. 4. 17

Ich bin entsetzt über die heutigen Seiten eins und zwei zu Nordkorea! Ist die taz zum Sprachrohr von Trump geworden? Fast genau in dessen Twitter-Ton bedient Ihr all die üblichen Klischees über den „Irren“ in Nordkorea. Es geht mir natürlich nicht darum, diesen Diktator Kim Jong-Un zu verteidigen. Aber meines Erachtens geht es darum, dessen Atomprogramm nüchtern einzuschätzen. Denn Kim benutzt zur Begründung seines Raketen- und Atombombenprogramms genau die gleichen Argumente wie ausnahmslos alle anderen Atomwaffenmächte einschließlich der Bundesrepublik (die so scharf und stolz ist auf die „atomare Teilhabe“ innerhalb der Nato): dass man diese Massenvernichtungswaffen lediglich zur Abschreckung möglicher Atomwaffeneinsätze der jeweils feindlichen Gegenüber brauche. Zwar hat die Nato nie einen möglichen Erstschlag ausgeschlossen, aber die Begründung auch gegenüber uns Wählern lautete immer „Abschreckung“. Und Präsident Kim hat allen Grund für ebendieses Argument, denn seit Jahrzehnten lagern in Südkorea einsatzbereite US-Atomwaffen. Während des Koreakrieges hat der damalige US-Befehlshaber in Südkorea öffentlich mit dem Einsatz der Atombomben gedroht (woraufhin er immerhin von Washington abgesetzt wurde). Und es war ausgerechnet Trump, der als bisher einziger westlicher Politiker im Wahlkampf mit dem Einsatz von atomaren Waffen gegen Nordkorea drohte („Wenn wir diese Waffen haben, warum setzen wir sie dann nicht ein?!“).Also müsste Euer Kommentar auf der Seite eins überschrieben sein: „Trumps (nicht Pjöngjangs) gefährliche Entschlossenheit“. Das Motiv Nordkoreas, schreibt Jutta Lietsch, „war immer klar […], sie wollten sich unangreifbar machen“. Ja und? Kann man das irgendeinem Staat vorwerfen? GERHARD BREIDENSTEIN, Traunstein

Mobilisierung

betr.: „Was machen wir jetzt ­damit?“, taz vom 10. 4. 17

Pulse of Europe mobilisiert jeden Sonntag Zehntausende von Menschen in 72 deutschen Städten und in elf weiteren europäischen Ländern. Man könnte sich freuen darüber, dass es endlich gelungen ist, der europäischen Idee eine zivilgesellschaftliche Stimme zu geben. Man könnte sich freuen, dass es gelungen ist, Menschen auf die Straße zu bringen, die zum ersten Mal in ihrem Leben demonstrieren. Man könnte sich freuen – es sein denn, man liest die taz vom Montag. Wir Mobilisierten sind unpolitisch, lese ich, weil wir keine konkreten Forderungen stellen, außer ein proeuropäisches Bekenntnis abzulegen. Wir leisten mit unserer „kritiklosen Europabegeisterung […] dem Neoliberalismus Vorschub“. Wir sind so blind, dass wir nicht einmal sagen: „Europa ja, EU nein.“ Und Pulse of Europe ist nicht basisdemokratisch, weil die Organisatoren Ende April auf einem Kongress intern (pfui!) beraten wollen, wie es mit PoE nach den Wahlen in Frankreich weitergeht. Wenn ich etwas für unpolitisch halte, dann die Art und Weise, wie die Frau Hecht und die Frau Guérot Pingpong spielen mit ihren Diffamierungsversuchen gegenüber einer Bewegung, die nie etwas anderes für sich reklamiert hat, als Menschen für Europa und auch die EU – natürlich eine demokratisch zu reformierende – auf die Straße zu bringen. Hinter PoE gibt es zahlreiche Initiativen, die den entstandenen Schwung aufnehmen, um ihn in konkreten politischen Projekten weiterzuentwickeln. Beispielhaft genannt sei nur das von Claus Leggewie und Kollegen geschaffene Netzwerk „Praxis Europa“ (www.praxiseuropa.net), in dem es um die Erarbeitung sehr konkreter politischer Positionen geht. Dies alles geschieht auch auf der politischen Plattform, die PoE aufgebaut hat. Ein nörglerisches Interview ist dies, demotivierend und ärgerlich. BERND SCHLEICH, Köln

Gefühlsdemos

betr.:„Was machen wir jetzt ­damit?“, taz vom 10. 4. 17

Danke für die kritischen Fragen zu Pulse of Europe. Ja, Begeisterung für Europa ist schön. Ja! Es braucht konkrete Forderungen, nicht nur Gefühlsdemos. So sympathisch so etwas ist, ohne konkrete Forderungen ist es um occupy whatever, nuit debout etc. rasch nicht mehr gut bestellt, und die Bewegung verebbt folgenlos. Schade aber, dass auch die Politikwissenschaftlerin mit Wahlrechtsgleichheit eine nicht nur ziemlich blutleere Forderung, weitab von den Herausforderungen der EU, präsentiert, sondern auch eine ziemlich fragwürdige, denn gleiches Wahlrecht heißt: weniger Abgeordnete für kleine Staaten, die derzeit zwecks Minderheitenschutz etwas bevorzugt werden, mehr für Deutschland. Das soll die Menschen mitreißen und Europa neuen Zusammenhalt geben? Ich finde die Forderung nach einem Interrailticket für jeden zum 18. Geburtstag charmanter. Das rettet die EU auch nicht, wäre aber mal ein erster Schritt zur Bürgernähe. Es schadet jedenfalls nichts – im Gegensatz zu einer Debatte, die Rechte der Kleineren zugunsten der Größeren zu beschneiden.

SILKE KARCHER, Berlin