Wenn es keine Fussballspiele gäbe – was würden die Fans dann mit ihren Aggressionen, ihrer lust an Gewalt, an Zerstörung, Beleidigung und Demütigung machen?
: Fast wie im Krieg

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Man hat bezahlt, reserviert, am Bahnsteig gewartet und dann kommen Fußballfans mit in den Wagen. Fußballfans gibt es in der gemäßigten Version, sie sind vielleicht ein bisschen aufgekratzt, ein bisschen angetrunken, aber im Großen und Ganzen doch gutmütig und bloß voller Erwartungen oder Siegerglück oder Verlierertraurigkeit. Also Menschen, die sich für etwas begeistern, das ich nicht verstehen kann, aber wohl akzeptiere. Und dann gibt es noch die andere Sorte Fußballfans. Wegen denen man den reservierten Platz aufgibt.

Das einzige Fußballspiel, das ich besucht habe, war ein Spiel des HSV gegen Werder Bremen. Auf dem Heimweg ging ich ein bisschen wie durch ein Schlachtfeld, ein Krisen-, ein Kriegsgebiet. Natürlich nicht so, denn ein echter Krieg ist was unvergleichlich Schlimmeres, aber in der Tendenz eben schon. Wie können fremde Menschen einander so hassen? Wegen Fußball? Und wirklich wegen Fußball? „Ja, das sind doch keine Fans, echte Fans machen so was gar nicht. Das sind nur Idioten“, versicherten mir alle, die ich kenne, die Fußballfans sind. Aber warum ist die Idiotendichte unter Fußballfans so hoch?

Der deutsche Bahn-Sicherheitschef Hilmar Rischke hat aktuell dem NDR in einem Interview erklärt, dass das Zugpersonal froh wäre, wenn es von Fahrten mit Fußballfans verschont bliebe. Denn die Zugbegleiter würden eingeschüchtert und geschlagen. Sie würden mitunter auch stark verletzt. Das hat er wirklich gesagt. Zugbegleiter würden von Fußballfans geschlagen! Ist nicht der Arbeitgeber Deutsche Bahn, wie jeder andere Arbeitgeber, gegenüber seinen Angestellten zur Fürsorge verpflichtet? Kann der Arbeitgeber Deutsche Bahn von einer Zugbegleiterin überhaupt verlangen, dass sie Fußballfans nach den Fahrkarten fragt? Wenn die Gefahr besteht, belästigt, beschimpft und geschlagen zu werden? Warum befördert die Bahn überhaupt Fußballfans, wenn ihre Idiotendichte so hoch ist? Ein Prozent, sagt die Bahn. Also, das liegt doch gar nicht mal über dem normalen Schnitt.

Die Bahn fordert nun, dass der DFB sich an den Kosten für das Fan-Randalierertum beteiligt. Der DFB aber fühlt sich nicht verantwortlich für Randalierer. Die norddeutschen Vereine fühlen sich auch nicht verantwortlich, geht aus dem NDR-Bericht hervor. Fußballspiele kommen ja auch gut ohne Straftaten aus. Wer sich im Fußball nicht an die Regeln hält, wird bestraft. Das Gleiche gilt für im Zug randalierende Fußballfans, sie können, wie im Fußball, für einen längeren Zeitraum von der Beförderung ausgeschlossen werden. In Zukunft soll das viel öfter vorkommen, droht die Bahn.

Der HSV ist der Ansicht, ein Fußballspiel sei nicht ursächlich für eine Straftat. Das denke ich auch. Was wäre denn, wenn es gar keine Fußballspiele gäbe, was machten dann die „Fans“ mit ihreren Aggressionen, ihrer Lust an Gewalt, an Zerstörung, Beleidigung und Demütigung? Könnten sie das dann alles gar nicht mehr ausleben? Würden sie autoaggressiv werden? Oder würden sie all diese Straftaten auch sonst begehen, nur eben nicht so anlassgebunden? Mehr impulsiv, spontan?

Und was mich wirklich interessiert: Wird in solchen „Fans“ während der Fahrt zum Spiel etwas ausgelöst, ein Gewaltdruck, ähnlich dem Pinkeldruck, dem Menschen sich ausgesetzt sehen, wenn sie Wasser rauschen hören? Vielleicht kann man den Reflex ja abstellen. Vielleicht dadurch, dass man sie auf ihren eigenen Füßen zum Spiel wandern, im Wald schlafen, aus dem Fluss trinken lässt? Oder indem man sie ganz fest einwickelt, damit sie sich geborgen fühlen und gleichzeitig ihre Grenzen spüren? Vielleicht könnte man da neue Wege gehen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.